Klavierspieler Oenning muss den Rhythmus finden

Hamburg (dpa) - Michael Oenning ist das Gesicht der neuen Werbekampagne des Hamburger SV. Der Fußball-Lehrer mit der schlichten Mittelscheitel-Frisur lächelt von Plakatwänden und ist seit Wochen in den Zeitungen der Hansestadt präsent - doch sportlich läuft es nicht nach Wunsch.

„Es ist doch völliger Quatsch, jetzt schon Kaffeesatz zu lesen“, sagte Oenning bei einer Talkrunde in einem Hamburger Hotel und warb für den neuen Weg des HSV: „Der ist nicht der attraktivste, aber der notwendigste. Da müssen wir auch mit Häme umgehen.“

Der wortgewandte Übungsleiter ist derzeit fast ein Star im Norden. Und das, obwohl er die schlechteste Startbilanz aller HSV-Trainer vorweist und der Job am Volkspark als Schleudersitz gilt. „Ich habe meinen Beruf von der Pike auf gelernt, ich kann das. Bewerten müssen es andere“, so der studierte Gymnasiallehrer für Germanistik und Sport.

Saisonübergreifend seit neun Partien (sechs Unentschieden, drei Niederlagen) fehlt ein Erfolg. Zuletzt zu seinem Einstand vor fünf Monaten gewann das damals überalterte Team mit 6:2 gegen Köln. Oenning will von solchen Statistiken aber nichts wissen, für ihn geht die Saison mit dem von ihm gestalteten verjüngten Kader neu los.

Er wehrt sich auch gegen eine zu schnelle mediale Verurteilung und weiß doch: Es müssen Siege her. Am besten schon am Samstag in München, spätestens eine Woche später gegen Köln. Bereits in der Vorbereitung habe man gegen die Bayern mit 2:1 gewonnen, führt er an. Und überhaupt: Das Gute am Fußball sei, dass es „immer die Chance gibt, dass der Schlechtere gewinnen kann“.

Glaubt man dem HSV-Vorstand, bekommt Oenning Zeit für den Umbruch. Behalten die Buchmacher recht, ist er der erste Wackelkandidat. Oenning wünscht sich, dass der Verein die Konflikte aushält, mittel- bis langfristig plant und den Weg der kleinen Schritte zum Tempofußball mit jungen, eigenen Talenten geht. Seine Spielidee, seine Handschrift muss aber bald auf dem Platz zu erkennen sein. Doch noch sucht er nach einer Stammformation, einer Achse.

Gegen München wird Oenning wieder auf Bewährtes setzen: David Jarolim und Marcell Jansen bieten sich an, sollen Sicherheit hereinbringen und den Neuen Halt geben. Oenning spricht bewusst von „Wir“, wenn er aus dem Alltag und von seinen Plänen erzählt. Er weiß, dass er möglicherweise gar nicht viel Zeit hat, den Traditionsverein zu prägen, und doch will er sich nicht verrückt machen lassen. „In unserem Beruf sind wir vielen Dingen ausgesetzt. Jeder darf sich anmaßen, über uns zu urteilen, es ist kein Respekt und keine Barriere da“, beklagt er.

Und doch liebt der 45 Jahre alte Münsterländer den Reiz, eine der 18 begehrtesten Planstellen im Fußball zu besetzen, Woche für Woche im Fokus stehen. Um abzuschalten, entspannt er sich fast täglich beim Klavierspielen. Mit seinen „Mündeln“, wie er die Profis manchmal nennt, muss er den Rhythmus in der Bundesliga noch finden.