Littbarski: „Sind von Problemen überrollt worden“

Wolfsburg (dpa) - Pierre Littbarski, Trainer des Bundesligisten VfL Wolfsburg, hat derzeit viele Sorgen, denn seine japanische Frau weilt in ihrer erdbebenerschütterten Heimat. Fast banal muten da die Probleme des Ex-Profis beim vom Abstieg bedrohten VfL an, über die er in einem Interview spricht.

Sie haben lange in Japan gespielt und eine japanische Frau. Können Sie sich derzeit voll auf Fußball konzentrieren?

Littbarski: „Ich habe drüben gelernt, dass man eine Aufgabe hat und die erfüllen muss. Ich habe Kontakte zu Japanern, die in den Krisengebieten wohnen oder wohnten und die gehen trotzdem zur Arbeit. Da gibt es das Denken nicht: 'Jetzt fahre ich sechs Wochen irgendwo hin, wo ich in Sicherheit bin.' Das habe ich mir mit der Zeit auch so angeeignet. Die Arbeit muss 100-prozentig gemacht werden. Für Europäer ist das schwierig zu verstehen.“

Trotzdem werden Sie doch sicher Sorgen haben?

Littbarski: „Die Sorgen sind da. Aber ich bin auch anders informiert. Hier kommt ja alles komprimiert an. In den japanischen Medien werden auch die Tragödien gezeigt, aber man schaut eigentlich eher nach vorne und zeigt Lösungswege auf. Hier in den Medien ist immer nur die Rede vom Super-Gau. Wenn ich mit meiner Frau oder Freunden spreche, die haben ganz andere Sorgen. Da geht es darum: Wie bekomme ich Wasser, Benzin? Wie kann ich meinen Tag gestalten, damit ich zum nächsten Tag komme? Wir arbeiten hier nur die Trauer auf, aber Trauer hilft den Leuten ja nicht. Natürlich erlebe auch ich Dramatisches. Es gibt Nachwuchsspieler aus einer mir bekannten Fußballschule in Sendai, die sind immer noch nicht wieder aufgetaucht.“

Ihre Frau ist derzeit in Japan?

Littbarski: „Sie ist in Yokohama. Ich weiß, dass sie nachts keinen Strom hat und sich eine Schlange bis zu Tankstelle gebildet hat und dass die Leute, sechs, sieben Stunden warten, um 30 Liter zu tanken. Ich weiß, dass die Supermärkte leer sind. Aber ihr geht es gut.“

Sie haben auch sportlich große Sorgen. Wolfsburg ist Vorletzter, wollte aber in den Europapokal. Wie konnte es dazu kommen?

Littbarski: „Wollen Sie das Gesamtpaket haben: Zwei Jahre geschlunzt und auf dem Meistertitel ausgeruht oder die Situation jetzt?“

So konkret es geht, bitte.

Littbarski: „Der VfL ist 2009 Meister geworden. Wer Meister wird, wird meistens faul. Dafür gibt es viele Beispiele. Nur die Bayern haben es verstanden, sich jedes Jahr neu zu motivieren.“

Fehlt es an den entsprechenden Tugenden im Kampf gegen den Abstieg?

Littbarski: „Wir haben nachweislich nicht genug Laufaufwand betrieben in der Vorrunde. Das ist jetzt vorhanden. Ich weiß: 'Wenn wir den Aufwand betreiben wie gegen Freiburg, Nürnberg und Gladbach, kommen wir unten raus. Wenn nicht, dann kommen wir da nicht raus.'“

Gibt es ein Ultimatum, in Stuttgart zu gewinnen?

Littbarski: „Nein. Das hat niemand gesagt. Natürlich weiß ich auch, dass wir im Abstiegskampf allein Punkte brauchen. Aber darüber nachzudenken, was wäre wenn - das bringt nichts.“

Sollten Sie am Saisonende oder doch noch vorher abgelöst werden: Wie geht es dann mit Ihnen weiter? Welche Absprache gibt es?

Littbarski: „Es gibt noch keine konkrete Planung. Dafür ist noch Zeit. Jetzt geht es für den Club auch allein um den Klassenverbleib. Ich habe bis 2012 unterschrieben und gehe davon aus, dass ich bis 2012 hier bin.“

Man hat das Gefühl, der VfL ist seit dem Titel 2009 permanent im Umbruch. Sie sind schon der vierte Trainer seit Felix Magath.

Littbarski: „Wir sind auch überrollt worden von einigen Problemen. Es ist doch auch bekannt, dass Felix Magaths Training und Arbeit extrem belastend und fordernd ist. Irgendwann fordern Körper und Geist Tribut. Das ist auch woanders so gewesen. Bei allem Guten: Die Spieler sind dann extrem ausgelaugt. Nicht nur kurzfristig, sondern über einen längeren Zeitraum. Manchmal muss man durch eine sehr lange Talsohle durch, um die Dinge zu bereinigen.“