HSV im freien Fall Nach erneuter Pleite: Todt schließt Trainerwechsel nicht aus

Hamburg (dpa) - Der Hamburger SV ist reif, reif für die 2. Liga. Das hat der dienstälteste Bundesliga-Verein, das einzige nie abgestiegene Gründungsmitglied der deutschen Eliteliga mit Nachdruck bewiesen.

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Das 0:2 gegen den Tabellenletzten 1. FC Köln war nicht irgendein Spiel, es war der Krisengipfel schlechthin. Wer gegen das Schlusslicht vor heimischem Publikum nach einer Serie von fünf sieglosen Partien nicht gewinnt, hat kaum noch Argumente, warum er weiterhin zum erlauchten Kreis des deutschen Vereinsfußballs gehören sollte.

Ähnliche Probleme peinigen Trainer Markus Gisdol. Er will dem Vorstand plausibel darlegen, warum er noch der Richtige auf seinem Posten ist. Eine Leistungsentwicklung gibt es in dem Team aber nicht. Verstärkungen, die er früh forderte, gab es allerdings auch nicht. Sportchef Jens Todt und der Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen werden mit Gisdol über dessen Zukunft reden. Todt schloss eine Trennung vom Trainer nicht mehr aus, Bruchhagen wollte nach dem Spiel lieber gar nichts sagen. Das heizte die Spekulationen erst recht an.

„Die Situation hat sich deutlich verschlimmert. Wir wollen erst mal drüber schlafen und das Spiel sacken lassen. Es war ein schlimmer Abend für uns“, formulierte Todt nach einer kurzen Vorstandsberatung unmittelbar nach der Partie. Am Sonntag wird auf der nächsten Krisensitzung erneut geredet - „und entschieden, wie es weitergeht“, sagte Todt und schob nach: „Unsere Mittel sind begrenzt.“ Soll heißen: Eine Trainerentlassung wäre teuer. Eigentlich hat der HSV das Geld nicht. Dennoch sei er auf alle Szenarien vorbereitet, versicherte Todt, der sich auch noch um Verstärkungen bemüht.

Der Sportchef fand auch Argumente pro Gisdol: „Die Mannschaft ist intakt und hat es in sich, es zu schaffen. Das Herz der Mannschaft stimmt, die Einstellung stimmt.“ Bruchhagen, dem Trainerentlassungen grundsätzlich gegen den Strich gehen, hat in zwölfeinhalbjähriger Cheftätigkeit bei Eintracht Frankfurt nur zweimal den Coach vor die Tür gesetzt. In Hamburg, wo er einen Vertrag bis Sommer 2019 besitzt, will er das eigentlich gar nicht. Allerdings steht auch sein Credo im Raum: „Der Klassenerhalt steht über allem.“

Doch so oder so: Die Fans sind genervt und wenden sich zunehmend vom Verein ab. Mit einer 30-minütigen Blockade der Stadionzufahrt verschafften sie sich nach der Niederlage gegen Köln Luft. Einige Profis wie Mergim Mavraj, Gotoku Sakai, Aaron Hunt und Dennis Diekmeier stellten sich und beruhigten die aufgebrachten Anhänger.

Mit Neid blickt die HSV-Führung nach Köln und Sportchef Armin Veh. Was dem FC mit der Verpflichtung von Torjäger Simon Terodde gelang, hat der HSV bislang versäumt. In den Jahren von Abstiegskampf und Niveauverfall seit 2013 wurden mehr als 120 Millionen Euro für zumeist falsche Transfers verheizt. Sechs Fußball-Lehrer mit unterschiedlichem Spielverständnis mühten sich mehr schlecht als recht, vier Sportchefs bastelten ziellos am Mannschaftsgefüge. Zwei echte und eine gefühlte Relegation waren die Folge. Der einstige Europacupsieger der Landesmeister mit einzigartiger Strahlkraft verkam durch Misswirtschaft, Dilettantismus, Indiskretionen, Eitelkeiten und Selbstüberschätzung zu einem Dauer-Krisenclub.

Paradox: Köln steht in der Tabelle noch schlechter da als der HSV, wird aber nach drei Siegen in Serie von einer positiven Stimmung getragen, als sei er auf Champions-League-Kurs. „Wir hatten gegen den HSV ein Endspiel ausgerufen“, berichtete Trainer Stefan Ruthenbeck. „Wir haben in Augsburg das nächste Endspiel.“ Der Coach lobt Leidenschaft und Zweikampfqualität seines Teams. Ruthenbeck bleibt aber Realist: „Trotzdem hat der Gegner drei Punkte mehr als wir.“

Torhüter Timo Horn sieht sein Team als verschworene Einheit. „Der Wille ist da und trägt diese Mannschaft. Das hat alles viel mit dem Kopf zu tun. Die Mannschaft glaubt daran, und das sieht man auch im Spiel.“ Die Kölner wollen weiter mit größter Leidenschaft am Wunder Rettung arbeiten. Torjäger Terodde: „Wir sind noch immer Letzter, aber Köln lebt wieder.“