Nach HSV-Absturz: Krisensitzung ohne Ergebnis
Hamburg (dpa) - Es wurde ein langer Abend im noblen Hotel Grand Elysee in Hamburg. Knapp acht Stunden debattierte am Sonntag der mächtige Aufsichtsrat über die Krise des Bundesliga-Gründungsmitglieds Hamburger SV.
Rausgekommen ist nichts.
„Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es kein Ergebnis zu verkünden“, sagte HSV-Mediendirektor Jörn Wolf. Die Aufsichtsratsmitglieder hatten sich durch den Hintereingang aus dem Hotel gestohlen. Bert van Marwijk bleibt Trainer. Er werde am Montag beginnen, „die Mannschaft auf das Pokalspiel gegen Bayern vorzubereiten“, betonte Wolf und erklärte, eine weitere Sitzung sei nicht anberaumt worden.
Einen Tag nach dem 0:3 gegen Hertha BSC und den heftigen Fan-Attacken auf die Bundesliga-Mannschaft mussten zunächst der Vorstandsvorsitzende Carl Jarchow und Sportchef Oliver Kreuzer zum 75-minütigen Rapport antreten. Alle Szenarien wurden offenbar diskutiert: Eine Ablösung von Jarchow, von Kreuzer und auch des glücklosen Trainers standen anscheinend zur Debatte. Dabei stand immer wieder der Name von Felix Magath als neuer starker Mann beim HSV im Raum. Doch die Herren aus dem Aufsichtsrat taten sich offenbar schwer bei ihrer Entscheidung. Offenbar kam keine Mehrheit von acht Stimmen zustande.
Nie zuvor war die Lage derart bedrohlich beim HSV. Unter der Führung des Niederländers van Marwijk hat der HSV sechsmal nacheinander verloren und ist als Tabellenvorletzter in akute Abstiegsnot geraten. Den Trainer beurlauben kann nur der Vorstand, der das allerdings ablehnt. Die Regel kann umgangen werden, indem der Aufsichtsrat den Vorstand mit Jarchow und Kreuzer entlässt und eine kommissarische Führung einsetzt.
Der Aufsichtsrat soll sich nach Informationen des „Hamburger Abendblatt“ bereits vor einigen Tagen mit Felix Magath getroffen haben. Im Radisosender WDR 2 sagte der gebürtige Franke am Sonntag: „Wenn mir jemand so eine Aufgabe anbieten würde, könnte ich mir Gedanken darüber machen. Bis jetzt ist es nicht passiert.“
„Wir haben alles analysiert und im Vorstand die Entscheidung getroffen, mit Bert van Marwijk weiterzumachen“, sagte Jarchow vor der Krisensitzung. Dabei seien drei Fragen in den Mittelpunkt gestellt worden: Erreicht der Trainer die Mannschaft noch? Ist er entschlossen genug? Hat er einen Plan? Jarchow: „Wir haben alle Fragen mit einem Ja beantwortet.“
Am Samstagabend haben das peinliche 0:3 und der desaströse Auftritt des HSV bei rund 250 Fans für Wut- und Gewaltausbrüche gesorgt. Fans attackierten die eigenen Spieler, traten auf deren Autos ein und schlugen sich anschließend selbst die Köpfe blutig. Die Polizei griff mit Pfefferspray und Schlagstöcken ein. Zwei Randalierer wurden vorläufig festgenommen. Zudem gab es Verletzte.
„Scheiß Millionäre“, grölten rund 250 Fans auf dem Parkplatz vor dem Stadion, als Rafael van der Vaart vor sie trat. Der Kapitän stürmte wütend auf eine Fangruppe zu, die ihn beschimpfte. Er schubste und wurde geschubst. Bierbecher flogen. Später traten Fans gegen die Autos von Leihspieler Ola John und Tolgay Arslan, als diese davonfuhren. Die Wut traf auch die Vereinsführung. „Vorstand raus“, schallte es über den Platz.
Oliver Scheel, als Vorstands-Vize zuständig für Mitglieder-Belange, griff die randalierenden Fans verbal an. „Was da passiert ist, geht zu weit“, sagte Scheel am Sonntag. Er will polizeiliche Ermittlungen abwarten und dann Maßnahmen durch den Verein gegen die Täter einleiten. „Ich habe mit den Spielern gesprochen. Manche stecken das, was passiert ist, nicht so gut weg.“
Van Marwijk soll den HSV am Mittwoch im DFB-Pokalviertelfinale gegen Bayern München und am nächsten Samstag beim Tabellenletzten Eintracht Braunschweig betreuen. Kreuzer: „Wenn ich wüsste, ein anderer Trainer sitzt draußen, und mit dem spielt die Verteidigung besser, wechsel ich gleich morgen. Aber das Gefühl habe ich nicht.“
In der gegenwärtigen Verfassung kann die Hamburger Mannschaft in der Bundesliga nicht bestehen. „Wir stehen sehr nahe vor der Zweitklassigkeit“, gab auch Kreuzer zu. Erschütternd, wie ansonsten begnadete Fußballer wie van der Vaart, Hakan Calhanoglu oder Milan Badelj scheinbar alles verlernt haben. Die Fehlleistungen der Innenverteidiger Heiko Westermann, deutscher Nationalspieler, und Johan Djourou, Schweizer Nationalspieler, sprechen Bände. „Nichts“, sagte Westermann, als er gefragt wurde, was ihm zur Leistung der Mannschaft einfällt.
Marwijk appellierte verzweifelt an die Spieler: „Wir steigen nicht ab! Wir haben noch 14 Spiele.“ Überzeugt schien das Team nicht zu sein. „Ich weiß nicht, ob eine Situation schon einmal so erdrückend war wie im Moment“, sagte Außenverteidiger Marcell Jansen. Seit Saisonbeginn fing sich der HSV 47 Gegentore ein. In der Rückrunde gingen alle drei Partien mit 0:3 verloren.
Torhüter René Adler, der nach längerer Verletzungspause erstmals wieder im Kasten stand, warnte: „Wir müssen aufpassen, dass die Mannschaft nicht auseinanderbricht.“ Er hatte mit einem gehaltenen Foulelfmeter von Doppeltorschütze Adrian Ramos eigentlich das Signal für einen leidenschaftlichen Kampf seines Teams gegeben. Wenige Sekunden später ging Hertha mit 1:0 in Führung und zerlegte das Gastgeberteam. „Ich glaube, jeder hat Angst“, gestand Adler und ergänzte kämpferisch: „Wir liegen heute am Boden, aber spätestens morgen stehen wir wieder auf.“