Misstöne bei Bayern Philipp Lahm wird „Privatier“: Servus mit Kalkül
München (dpa) - Der spektakuläre Solo-Auftritt von Philipp Lahm zum Start in seine Abschiedstournee begeisterte die überraschten Bayern-Bosse ganz und gar nicht.
Am Tag nach dem angekündigten Ende von Lahms Bilderbuchkarriere im kommenden Sommer räumten Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ihre Verwunderung über den Alleingang des Mannschaftskapitäns ein. Gleichzeitig mühten sich Präsident und Vorstandschef nach dem Einzug in das Viertelfinale des DFB-Pokals, trotz ihrer Kritik am öffentlichen Vorpreschen des 33-Jährigen die Misstöne nicht zu laut werden zu lassen.
„Bis gestern sind wir davon ausgegangen, dass es zu dieser Entscheidung eine gemeinsame Erklärung Philipp Lahms und des FC Bayern München geben wird“, erklärte Rummenigge. Er war „überrascht über das Vorgehen Philipp Lahms und seines Beraters“. Eine Woche vor der Champions-League-Kraftprobe gegen den FC Arsenal können die nach Bestform suchenden Münchner keine Unruhe brauchen.
Während Hoeneß gleich nach dem 1:0 gegen den VfL Wolfsburg keine Details aus den monatelangen Verhandlungen mit dem Kapitän preisgab, machte Lahm seine Kündigung als Fußballprofi öffentlich. „Irgendwann ist es einfach zu Ende, und das Ende will ich selber bestimmen“, begründete Lahm. Der riesige Blumenstrauß, den er von Rummenigge vor dem Anpfiff unter dem Beifall der Fans zum Dienstjubiläum erhalten hatte, wirkte danach wie ein erstes Abschiedsgeschenk.
Möglicherweise eine Reaktion auf den Wirbel war Lahms Beitrag bei Facebook am Abend, in dem er seine Beweggründe nochmals erläuterte. Trotz der Absage, sofort als Sportdirektor beim FC Bayern München weiter machen zu wollen, hält der Weltmeister ein späteres Engagement beim deutschen Rekordmeister demnach weiter für möglich. Es stehe für ihn „außer Frage, dass ich mir eine anderweitige Aufgabe beim FCB nach wie vor sehr gut vorstellen kann“, schrieb Lahm.
In der englischen Übersetzung seines Beitrags bei Twitter wurde Lahm noch konkreter: „Daher ist es für mich klar, dass ich irgendwann in der Zukunft wieder mit dem FCB zusammenarbeiten werde.“
In diesem Sommer - statt wie vertraglich vereinbart am 30. Juni 2018 - ist für den kühl kalkulierenden Karriereplaner beim Fußball-Rekordmeister jedenfalls erstmal Feierabend. Gleich an einen Schreibtisch in der FC-Bayern-Zentrale an der Säbener Straße will der Unternehmer nicht wechseln. „Es gab Gespräche. Am Ende habe ich mich aber dazu entschlossen, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist, beim FC Bayern einzusteigen“, formulierte es Lahm. Rummenigge hatte ihm den Posten des Sportdirektors reserviert.
Lahm will lieber „ein kleines Break“: „Aber wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne vorbereitet bin. Deshalb möchte ich nach dieser Saison erst einmal etwas Abstand gewinnen, die lange Zeit im Fußball reflektieren und mir in Ruhe Gedanken machen, wo und in welcher Form ich meine gesammelte Erfahrung erweitern und einbringen kann.“
Hoeneß deutete an, dass es in den Verhandlungen nicht nur um den Zeitpunkt der Anstellung für den Weltmeister ging. Einen Dissens gab es wohl auch über die Machtfülle. Nach Ansicht des wieder von Hoeneß angeführten Aufsichtsrates wäre ein Vorstandsposten für Lahm zu früh gekommen. „Bei uns im Aufsichtsrat sitzen Dax-Vorstände. Für die kommt nicht infrage, dass jemand ohne Berufserfahrung im Vorstand anfängt“, sagte Hoeneß den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“.
Lieber zieht sich Lahm in drei Monaten erstmal zurück von der Profibühne. „Für mich steht fest, dass ich ab Sommer Privatier bin. Ich kann mich noch mehr um andere Dinge kümmern, ich kann mich ein bisschen umschauen, umhören, mich mit anderen Leuten treffen“, sagte der am idyllischen Tegernsee residierende Lahm. Der 113-malige Nationalspieler hätte sicherlich auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) Perspektiven. Aber beim FC Bayern stünden ihm ebenfalls weiter die Türen offen, betonten Rummenigge und Hoeneß.
Der Entscheider Lahm setzt mit dem Karriereende konsequent den Weg fort, den er auch als Nationalspieler beschritten hatte. Am Morgen nach dem WM-Triumph 2014 teilte Lahm noch in Brasilien Bundestrainer Joachim Löw seinen Rücktrittsentschluss mit. Der Weltmeisterkapitän trat auf dem Höhepunkt seiner DFB-Schaffensphase ab.
Auch im Vereinsalltag, der den Familienvater nach anderthalb Jahrzehnten als Profi immer mehr Kraft kostet, will er ein großes Ende. Bloß nicht irgendwann als Auslaufmodell ohne Einfluss und weitab von Auftritten auf allerhöchstem Niveau enden. Wie in den knallharten Mechanismen des Fußballs mächtige Anführer stürzen können, erlebte er als Profiteur beim Nationalmannschafts-K.o. von Michael Ballack hautnah. Lahm war 2010 fortan der Kapitän.
„Ich bin mir sicher, dass ich bis zum Ende der Saison meine Topleistung abrufen kann, aber nicht darüber hinaus“, sagte Lahm nach dem verdienten Heimsieg seiner Münchner gegen den VfL Wolfsburg. Nach 501 Pflichtspielen für den Herzensclub, sieben Meisterschaften, sechs Pokalsiegen und dem Champions-League-Triumph 2013 als Krönung verkündete einer der immer noch besten Außenverteidiger der modernen Fußball-Historie die „einfach gereifte“ Entscheidung.
Durch die Absage Lahms für einen Posten in der sportlichen Leitung rückt Gladbachs Manager Max Eberl automatisch in den Münchner Fokus. Der 43-Jährige hat eine langjährige Bayern-Vergangenheit und ein gutes Verhältnis zu Hoeneß. „Es wird sicherlich alles dafür getan, dass ab dem 1. Juli ein Sportmanager, Sportdirektor oder Sportvorstand da ist“, sagte Hoeneß. Man habe kein Interesse gehabt, die Personalie Lahm, „so früh bekanntzugeben“.
Lahm feierte am 3. November 2002 beim 3:3 in der Champions League gegen Lens sein Pflichtspieldebüt bei der Profi-Garde. Geht es nach Lahms „Sehnsucht“, dann krönt er am 3. Juni nach dem Finale im selben Wettbewerb im Millennium Stadium von Cardiff mit dem Henkelpott in den Händen seine herausragende Bayern-Vita. „Große Ziele und Herausforderungen, deshalb #packmas!“, schloss Lahm seinen Facebook-Beitrag.