Rafati-Drama schockt Liga - Außer Lebensgefahr
Frankfurt/Main (dpa) - Mit seinem Selbstmordversuch hat Schiedsrichter Babak Rafati für Entsetzen und tiefe Betroffenheit im deutschen Fußball gesorgt und zwei Jahre nach dem Suizid von Robert Enke alte Wunden aufgerissen.
Die Verzweiflungstat des 41-jährigen Referees, der sich außer Lebensgefahr befindet, löste bei Spielern, Trainern und Funktionären einen Schock aus und setzte eine neuerliche Diskussion um die enorme psychische Belastung im knallharten Bundesliga-Business in Gang. „Es ist erschreckend, dass ein Mensch in der Mitte seines Lebens so ausweglos denkt“, sagte der von den dramatischen Vorkommnissen gezeichnete DFB-Präsident Theo Zwanziger.
Auch Liga-Präsident Reinhard Rauball war „tief schockiert. Ich habe nicht geglaubt, dass so etwas möglich ist in einem so nahen Umfeld zu einem Bundesligaspiel. Ich bin sehr froh, dass er nicht mehr in Lebensgefahr ist, dass er noch rechtzeitig gerettet werden konnte“, sagte Rauball.
Rafati war knapp zwei Stunden vor der Partie 1. FC Köln gegen FSV Mainz 05, die nach den Ereignissen abgesagt wurde, von seinen Assistenten in seinem Hotel-Zimmer gefunden worden - wahrscheinlich mit aufgeschnittenen Pulsadern. „Ich würde Sie bitten, mir Einzelheiten zu ersparen. Richtig ist, dass er in der Badewanne lag und natürlich auch viel Blut zu sehen war“, berichtete Zwanziger auf einer Pressekonferenz in Köln.
Über die Hintergründe des Selbstmordversuchs wollte sich Zwanziger, der nach dem Erhalt der Nachricht sofort seinen geplanten Besuch beim EM-Qualifikationsspiel der DFB-Frauen gegen Kasachstan in Wiesbaden abgesagt hatte, nicht näher äußern. „Es sind Notizen gefunden worden, die noch ausgewertet werden müssen. Deshalb kann ich zum Motiv noch nichts sagen“, erklärte er.
Rafati gehört nach dpa-Informationen nicht zu den 21 Schiedsrichtern, gegen die derzeit in der Steueraffäre ermittelt wird. Allerdings sah sich der Bankkaufmann aus Hannover, der 2005 ausgerechnet bei der Partie 1. FC Köln gegen FSV Mainz 05 sein Bundesligadebüt gegeben hatte, seit einigen Jahren heftiger Kritik ausgesetzt. Dreimal wurde er von den Profis zum schlechtesten Referee der Liga gewählt, vor wenigen Wochen strich ihn der DFB von der FIFA-Liste.
Rafatis Vater Djalal erklärte, er habe vor der Tat keine Anzeichen von Resignation erkennen können. „Von Depressionen oder Burn-out hat mein Sohn nie etwas erzählt. Wenn er das getan hätte, hätte ich reagiert“, sagte er in einem Interview des „Express“. In einem Telefonat habe sich sein Sohn entschuldigt. „Er sagte nur: Papa, verzeih mir, was ich getan habe“, berichtete der Vater.
„Der Druck auf die Schiedsrichter, überhaupt im Leistungssport, ist aus unterschiedlichen Gründen unheimlich hoch. Und wir schaffen es einfach nicht, dies in eine richtige Balance zu bringen. Man darf sich nicht in eine Sache so stark hineinbewegen, dass man am Schluss in eine ausweglose Situation gerät“, sagte Zwanziger.
Deutlicher wurde Rauball: „Ich wünsche ihm, dass er diese Krankheit, die er im Moment akut hat, überwindet, dann aber auch die Ursachen beseitigen kann, die ihn dazu veranlassen mussten, eine solche Tat zu begehen.“
Der Liga-Boss fordert endlich ein Umdenken, das trotz des Selbstmordes von Nationaltorhüter Robert Enke im November 2009 offenbar nicht stattgefunden habe. „Wir müssen da noch mehr Fachleute ins Boot nehmen, die sagen, wie breit wir uns da aufstellen müssen. Ich muss sagen, ich hätte selbst nicht geglaubt, dass dieses Thema durch die gesamte Tiefe des professionellen Fußballs geht“, sagte Rauball.
Momentan wird Babak Rafati in der Kölner Eduardus-Klinik medizinisch versorgt. Sein Gesundheitszustand ist laut Zwanziger stabil. In den nächsten Wochen und Monaten steht ihm nun ein schwerer Weg zurück ins Leben bevor. „Wir müssen darauf hoffen, dass das, was ihn belastet hat und was zu dieser Ausweglosigkeit beigetragen hat - sonst macht man ja keinen Suizidversuch - transparent wird und man ihm helfen kann“, erklärte Zwanziger.
Dank des schnellen Handelns von Patrick Ittrich, Holger Henschel und Frank Willenborg habe Rafati überlebt, würdigte Zwanziger die beiden Assistenten und den Vierten Offiziellen. „Ihnen kommt das entscheidende Verdienst zu. Sie haben alle Schritte sofort eingeleitet und kühlen Kopf bewahrt“, lobte der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Das Trio hatte die Tür zu Rafatis Zimmer im Kölner Hyatt-Hotel öffnen lassen, nachdem der sonst immer pünktliche Unparteiische nicht zur Spielbesprechung erschienen war.
Zwanziger appellierte: „Wir müssen uns in der gesamten Gesellschaft nicht nur nach dem äußerlichen Schein richten, sondern versuchen, uns dem Innenleben der Menschen zu nähern. Sie bitten, sich frühzeitig zu öffnen, wenn es ein Problem gibt und nicht alles in sich hineinzukauen, bis sie dann vor der Mauer stehen.“
Die Vereine aus Köln und Mainz reagierten ebenfalls mit großer Betroffenheit. „So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Die Absage war absolut in Ordnung“, sagte FSV-Manager Christian Heidel. Kölns Geschäftsführer Claus Horstmann wünschte Rafati im Namen des gesamten Clubs „eine rasche Genesung und seinen Angehörigen, Freunden und Kollegen viel Kraft, mit dieser schwierigen Situation umzugehen“.
Einen Nachholtermin für die ausgefallene Partie will die Deutsche Fußball Liga (DFL) in der kommenden Woche festlegen. Die Eintrittskarten behalten ihre Gültigkeit, teilte der 1. FC Köln mit.
Herbert Fandel hat als Chef der deutschen Schiedsrichter bestürzt auf das Drama um Referee Babak Rafati reagiert. „Wir Schiedsrichter sind alle tief betroffen. Das wichtigste ist zunächst, dass es Babak Rafati gesundheitlich schnell wieder besser geht“, sagte der Vorsitzende der Schiedsrichter-Kommission im Deutschen Fußball-Bund (DFB).
Fandel (Kyllburg) wollte nach Rafatis Selbsttötungsversuch nicht über die Gründe spekulieren, sondern verwies in einer DFB-Mitteilung auf ein Zitat von DFB-Präsident Theo Zwanziger: „Das wichtigste ist immer der Mensch. Auch wenn wir die Gründe für diesen ausweglosen Schritt nicht kennen, wird Babak Rafati von uns alle Unterstützung bekommen, die wir ihm geben können.“