Rehhagel: „Wenn einer nah dran ist, dann bin ich das“

Berlin (dpa) - Seit knapp zwei Wochen arbeitet Otto Rehhagel als Chefcoach von Hertha BSC. Sein Comeback auf der Trainerbank ging fulminant daneben. Jetzt kommt seine einstige große Liebe Werder Bremen nach Berlin.

Der Nachrichtenagentur dpa verrät der 73-Jährige, wie er sich als Rückkehrer fühlt.

Herr Rehhagel, der erste Otto-Effekt in Augsburg hat nicht gegriffen. Was stimmt Sie optimistisch, dass es am Samstag anderes sein wird?

Rehhagel: „Wir haben darüber gesprochen, dass wir einige schwere Fehler gemacht haben, die wir nicht wiederholen dürfen. Wir haben einen schweren Gegner. Werder will in den internationalen Wettbewerb. Wir müssen uns verteidigen. Man muss im eigenen Stadion sehen, dass die Jungs erkannt haben: Jetzt ist die letzte Stunde gekommen.“

Im Heimdebüt geht es ausgerechnet gegen Werder. Ist das mehr eine Motivation für Ihre Spieler oder für die Bremer?

Rehhagel: „Das wird übertrieben. Wir spielen eben jetzt gegen Werder, dann in Köln. Dann kommt der nächste Gegner. Natürlich habe ich eine außergewöhnliche Beziehung zu Werder Bremen. Aber wir müssen das professionell handhaben.“

14 Jahre Bremen haben Sie geprägt. Welche drei wichtigsten Dinge oder Ereignisse haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Rehhagel: „Mein Sohn Jens konnte in Bremen zur Schule gehen von der ersten Klasse bis zum Abitur. Sonst reisen die Kinder mit ihren Trainer-Vätern immer durch die Gegend. Sportlich hat sich eine Gruppe Menschen gefunden mit dem leider verstorbenen Dr. Böhmert, Klaus-Dieter Fischer, ein Jahr später Willi Lemke, die mich begleitet haben. Ich hatte niemanden, der mir dazwischenquatscht. Zudem hatte ich das Glück, dass ich mit meiner Personalpolitik unglaublich gute Treffer hatte. Ich war für die Dinge allein verantwortlich, das ist schon außergewöhnlich. Und nach dem Aufstieg hatten wir unglaublichen Erfolg, damit hat niemand gerechnet.“

Ihr einstiger Spieler Thomas Schaaf sitzt jetzt auch schon fast 13 Jahre bei Werder auf der Bank? Warum geht das nur in Bremen?

Rehhagel: „Weil die Leute cool sind, hanseatische Kaufleute. Es gab mal ein paar Situationen, als sie nicht so zufrieden waren. Aber Thomas ist auch deutscher Meister und Pokalsieger geworden. Es ist ganz einfach: Man ist dann lange bei einem Verein, wenn man Erfolg hat. Die Dinge sind ganz einfach im Fußball.“

Bei Hertha gibt es bei der Trainer-Verweildauer das andere Extrem?

Rehhagel: „Ja, Hertha hatte 20 Jahre keinen Erfolg. War einmal Vierter, hat aber keinen Titel geholt.“

Sie sind mit Übergangslösungen schon der fünfte Cheftrainer. Wie beeinflusst das die Mannschaft?

Rehhagel: „Das ist schwierig. Die Mannschaft musste sich die ganze Zeit mit anderen Dingen beschäftigen. Der Trainer ist ja der erste Angestellte des Vereins. Viele Dinge wurden hier kolportiert, die mit dem Spiel gar nichts zu tun haben. Die Jungs nehmen das auf und es wird darüber geredet. Dann kommt wieder ein neuer Trainer, man muss sich wieder neu orientieren.“

Inwieweit haben Sie sich mit der schwierigen Vergangenheit in dieser Saison auseinandergesetzt? Haben Sie Ihre Vorgänger kontaktiert?

Rehhagel: „Nein. Alles, was vorher war, ist nicht mein Thema und darauf habe ich keinen Einfluss. Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss sehen, dass wir Punkte holen. Ich musste alle Leute blitzschnell kennenlernen. Wie viel mal haben wir nicht gewonnen? Die Fußballer sind alle empfindlich. Ich musste die Leute erst einmal befreien, damit sie nicht die ganze Woche rumlaufen im Büßergewand. Sie müssen gegen Bremen mutig rausgehen.“

Nach Augsburg gab es einen ersten Anflug von Zweifeln, ob die Qualität wirklich reicht zum Klassenverbleib?

Rehhagel: „Ich habe das nie gesagt. Die Spieler bewegen sich in dem Rahmen aller Menschen: Wenn sie keinen Erfolg haben, werden sie unsicher. Wenn man da steht, wo man steht, ist das doch normal. Das geht anderen auch so, die in unserer Nähe stehen. Da kann man nicht sagen, morgen spielen wir um die deutsche Meisterschaft, das ist doch logisch. Dagegen musst du ankämpfen.“

Sie sind jetzt zwei Wochen bei Hertha nach fast 12 Jahren Ligaabstinenz. Ist das noch Ihre Bundesliga?

Rehhagel: „Ich war doch jeden Samstag da und habe Spiele gesehen. Ich war in Gladbach, Dortmund, Leverkusen, auf Schalke. Ich kenne viele Spieler, habe überall meine Bekannten. Wenn einer nah dran ist, dann bin ich das. Und ich habe 2010 mit den besten Mannschaften der Welt in Südafrika gespielt. Und ich habe den Papadopoulos gegen Messi gestellt. Da muss man schon ziemlich Mut haben.“

Aber die Spieler sind eine andere Generation. Sie twittern und posten? Wie fremd ist Ihnen diese Welt?

Rehhagel: „Die ist mir nicht fremd. Ich bin genauso drauf wie sie. Die Spieler sind die, die sie sind. Unsere Eltern haben 1956 auch gesagt, als Elvis kam: "Seid Ihr verrückt geworden?" Dann war er einmal da und Superstar. So geht es immer weiter. Man muss sich mit diesen Dingen vertraut machen. Mein Sohn Jens ist Doktor der Sportwissenschaften.“

Darf der als Angestellter von Hannover 96 beruflich helfen?

Rehhagel: „Wir sprechen ja über Dinge des Lebens. Der Umgang mit Menschen ist die große Herausforderung des Lebens. Ich habe ihm viele Ratschläge gegeben. Aber über die neuen Dinge sprechen wir schon. Die Menschen sind so, wie sie immer waren. Es gibt nur eine neue Sprache, im Fußball auch. Das ist ein Formulierungswettstreit. Aber die Ecke wird von der Ecke geschossen. Der Platz ist 60 mal 100 Meter. Man darf sich nicht dumm gegenüber dem Schiedsrichter verhalten. Was ist da neu heute?“

Andererseits schicken Sie bei Hertha ihre Spieler in die Höhenkammer. Jeder Meter Laufweg der Profis wird elektronisch erfasst.

Rehhagel: „Macht die Firma, die das erfunden hat, dies umsonst? Kenne ich alles. Das ist zwar nicht ganz verkehrt, aber die endgültige Wahrheit ist es nicht. Wenn das so einfach wäre, würde niemand mehr absteigen, da brauchst du nur in die Höhenkammer zu gehen. Ich bin Praktiker. Es gibt im Fußball zu viele Theoretiker. Bei der WM 2010 hat Spanien gegen die Schweiz 0:1 verloren - und hatte 85 Prozent Ballbesitz. Die Schweiz hatte praktisch eine 10:0-Deckung.“