Bayer Leverkusen Roger Schmidt: Erfolg ist Lebensqualität

Der Leverkusener Trainer hat nach einer schwierigen Zeit die Stimmung für sich drehen können. Bayer 04 ist auf Kurs Champions League. Stars wie Bellarabi und Kießling bekennen sich zum Verein.

Foto: dpa

Leverkusen. Der Blick fällt unweigerlich auf den schnieken silbernen Henkelpott im Miniaturformat. Das gute Stück hängt an Roger Schmidts Schlüsselbund. Und den hat der Trainer von Bayer 04 Leverkusen auf den Tisch gelegt. Sichtbar. Den Siegerpokal der Champions League hat er also immer dabei.

Vor fünf Wochen noch wäre Schmidt auch für solch eine Marginalie als spinnerter illusionär beschrieben worden, als Größenwahnsinniger, der vom Henkelpott träumt, aber davon so weit entfernt ist, wie Hannover 96 vom Ligaerhalt. Einige Wochen später aber ist alles anders: Der Henkelpott am Schlüssel ist ein nettes Gimmick, vielleicht sogar symbolisiert es berechtigtes Selbstvertrauen.

Fünf Bundesliga-Siege in Serie, über fünf Spieltage von Rang acht auf drei haben in Leverkusen alles verändert: die Stimmung, die Perspektive, die Planungen einzelner Spieler — und die Sicht auf Trainer Roger Schmidt. „Entscheidend ist auf’m Platz“, hat Adi Preißler einst gesagt. Und selten war die Wahrheit dieses Wortes treffender zu beobachten als in diesen Tagen in Leverkusen.

Roger Schmidt weiß das. Er würde nie sagen, dass ihn die vergangenen Monate an den Rand geführt haben. Als er von einigen Medien offensiv zum Rücktritt aufgefordert wurde. Als seine Mannschaft unter Wert agierte. Und als er selbst nur noch von der Tribüne zusah, weil ihn der DFB für drei Spiele gesperrt hatte. Der Widerspenstige. Schmidt sagt stattdessen angesichts der Siege danach: „Erfolg ist Lebensqualität.“ Und der Zuhörer macht sich ein Bild davon, was es heißt, in dieser Unterhaltungsbranche Fußball mal nicht zu funktionieren.

Man musste nie Mitleid mit dem Sauerländer haben. Schmidt ist ein selbstbewusster Mann, der andere und sich oft an den Rand führt. Der stolz ist. Auch mal trotzig. Manche sagen: beratungsresistent. Aber man darf ihm zugute halten — alles zu seinem Moment —, dass Beharrlichkeit auch eine Stärke sein kann. Und dass er Bayer Leverkusen — wenn alles glatt läuft — in die Champions League führt. Wieder einmal. „Für mich ist genau das keine Selbstverständlichkeit. Sondern das ist hart. Wenn wir es schaffen sollten — und wir müssen es erst einmal schaffen — dann kann die Mannschaft auch stolz darauf sein“, sagt Schmidt. Und er? „Ich bin es dann auch. Ich fühle mich als ein Teil von allem.“

Noch ist nichts erreicht. Schmidt weiß das. So wie Leverkusen vor Wochen auf die anstehenden direkten Duelle gegen die Mitbewerber Schalke (Samstag, 18.30 Uhr), Hertha BSC (30. April, 18.30 Uhr) oder Gladbach (7. Mai, 15.30 Uhr) geschielt hat, um noch einmal rankommen zu können, so „schielen die anderen jetzt auf die Spiele gegen uns“. Gejagter statt Jäger — Schmidt selbst hätte das nicht unbedingt für möglich gehalten. Jetzt genießt er es.

Er kann es genießen. Die Zukunft bei Bayer 04 nimmt Formen an: Karim Bellarabi hat tags zuvor angekündigt, auf jeden Fall eine weitere Saison in Leverkusen bleiben zu wollen. Was bemerkenswert ist angesichts der Tatsache, dass auf Bellarabi über eine erfolgreiche EM und eine Ausstiegsklausel im Vertrag noch attraktive Alternativen zukommen könnten. „Karim hat wie ich das Gefühl, dass er sich hier noch weiterentwickeln kann“, sagt Schmidt. Es ist auch des Trainers Erfolg: Schmidt hat aus Bellarabi einen Leistungsträger und Nationalspieler gemacht, nachdem der mit ungewisser Zukunft nach Leihende aus Braunschweig zurückgekehrt war. Schmidt findet auch: „Es gibt nicht 50 Vereine auf der Welt, die besser sind als Bayer Leverkusen.“

Gestern legte Stefan Kießling nach: Der 32-Jährige hat seinen 2017 auslaufenden Vertrag vorzeitig um ein Jahr verlängert, nach der aktiven Spielerkarriere soll der Routinier laut Geschäftsführer Michael Schade eine „Funktion im Verein übernehmen“.

Davon, dass es in der Hinrunde Knatsch zwischen Publikumsliebling Kießling und Schmidt gab, als der Stürmer auf der Bank saß, ist keine Rede mehr. Schmidt findet den neuen Vertrag jetzt „eine sehr gute Entscheidung für beide Seiten“. Der Trainer hat es sich abgewöhnt, in allen Punkten unter allen Umständen Recht behalten zu wollen. Es war zu anstrengend für sich und seine Umgebung geworden.

Schmidt sammelt lieber die Erfolge ein: Als die deutsche Nationalmannschaft zuletzt gegen Italien auflief, stellte Bayer Leverkusen vier Spieler: Bernd Leno, Jonathan Tah, Karim Bellarabi, Christoph Kramer. „Ich gönne allen von Herzen die EM-Teilnahme“, sagt der Trainer. Vielleicht hat auch Julian Brandt noch eine Chance bei Joachim Löw.

Er glaubt daran, dass diese junge Mannschaft weiter zusammenwachsen wird. Dass Torwart Leno bleibt. Dass Brasilianer Wendell bleibt. Vorbehaltlich des Großangriffs aus England auf dem Transfermarkt: „Wir haben schon einige junge Spieler mit außergewöhnlicher Qualität, für die es sich lohnen würde, viel Geld auszugeben“, sagt Schmidt. Ende offen. Und Chicharito, der Torjäger? „Wir sind froh, dass er hier ist und eine so gute Zeit hat. Das hat sich für beide Seiten extrem ausgezahlt“, sagt Schmidt. Sicher, dass der Mexikaner bleibt, ist er aber nicht: „Das ist ein spezieller Fall. Man muss schauen, in welche Richtung er da denkt.“ Der Henkelpott am Schlüsselbund könnte da ein Hinweis sein. Aber Champions League — das hätte Chicharito wohl auch in Leverkusen bald wieder.