Bundesliga Tuchel und der BVB — ein Problem?

Düsseldorf/Dortmund. Thomas Tuchel hält es mit Pep Guardiola. Vielleicht ist diese Idee, auf Einzel-Interviews fast gänzlich zu verzichten, in einem Gespräch im Dezember 2014 an jenen Tagen in München geboren worden, als der Fußball-Trainer Tuchel noch im selbst verordneten Sabbatical lebte und als Mann im Wartestand von den ganz Großen seiner Branche lernen wollte.

Es gibt Menschen in Dortmund, die Tuchel gerne weniger in sich zurückgezogen erleben würden.

Foto: GuillermoMartinez

Pep Guardiola hatte ihn seit jeher fasziniert. Die beiden trafen sich in München, tauschten sich aus, verschoben der Legende nach die Salzstreuer auf dem Tisch, als seien es ihre Spieler. Und wie Guardiola hat Tuchel es dann auch gehalten: Über die Pressekonferenzen vor großer Journalistenschar hinaus gewährt der Trainer aus Schwaben keinen Einblick in sein Seelenleben. Und auch nicht in seine tieferen Fußball-Weisheiten, wobei man sicher sein kann, dass sich das lohnen würde. Weil Tuchel — verbürgt — zu den schlauesten Fußball-Köpfen der Republik gehört.

Es gibt Menschen in Dortmund, die Tuchel gerne weniger in sich zurückgezogen erleben würden. Aber sie wissen, dass der Trainer nur funktionieren kann, wenn man ihn gewähren lässt. Daran halten sie sich noch in Dortmund, sie lassen ihn machen, aber immer mehr Menschen in diesem Verein, so erzählen manche an der Dortmunder Strobelallee, stürzt das in Unzufriedenheit. Die langsam ausbricht.

Tuchel, der mit Borussia Dortmund gerade Tabellenvierter in der Fußball-Bundesliga ist, gewinnt momentan zu wenige Spiele und zu wenige Herzen. Die zweite Erkenntnis hat weniger mit der ersten zu tun, als man das meinen könnte: Schon seit Monaten läuft unter den Anhängern eine raumgreifende Debatte, die viel mit Tuchels Vorgänger Klopp zu tun hat. Der ist noch immer vielen der BVB-Maßstab, und Tuchel ist nun einmal: ganz anders: Der 43-Jährige verweigert den Gang vor die Fans in der Kurve, er lässt manchen Fan-Liebling wie einst Kuba oder Sahin und zuletzt Neven Subotic links liegen, erscheint oft kühl kalkulierend und ließ Watzke und Sportdirektor Michael Zorc auflaufen, als es um den Transfer des Schweden Isak ging. Tuchel kannte ihn nicht. Und ließ das - irgendwie typisch - zuerst anklingen und später halbseiden dementieren. Die These der Debatte lautet: Tuchel passt nicht zum BVB. Bilder wie von Klopp, der die Zähne zusammenbeißt und sich vor der Fankurve mehrfach die geschlossene Faust auf das Herz hämmert, als müsse er sich selbst wiederbeleben, wird man von Tuchel nicht sehen. Das gilt vielen Fans als Makel. Aber ist das das Problem des Trainers? Es könnte seines werden. Weil viel dafür spricht, dass Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke manchem Fan nicht unähnlich denkt. Watzke war mit Klopp verkumpelt, dessen Abschied hat der Unternehmer aus dem Sauerland professionell hingenommen, geschmerzt hat es ihn trotzdem. Tuchel ist auch für Watzke Neuland, zuletzt hat man auch dem 57-Jährigen angemerkt, dass er nicht alles gut findet, was sein wichtigster Angestellter abliefert. „Ich erwarte von allen Beteiligten, dass wir uns direkt für die Champions League qualifizieren“, hatte Watzke nach dem Trainingslager im spanischen Marbella gesagt, und als die Frage im Raum stand, ob der Kontrakt des Trainers über 2018 hinaus vorzeitig verlängert würde, da verwies Watzke erst einmal auf das abzuwartende Ergebnis der laufenden Saison. Tenor: Schau’n wir mal. Das haben viele als Signal an Tuchel verstanden. Der hatte zuvor in der ihm eigenen Diktion verkündet, während der Saison ein schlechter Verhandlungspartner zu sein. Man redet aneinander vorbei. Oder anders: In Dortmund wird eher übereinander denn miteinander gesprochen.

Tuchel arbeitet mit seiner Mannschaft noch am richtigen „Flow“: Natürlich: Dass im Umfeld des BVB derzeit jeder über den Trainer diskutiert, hat auch mit der sportlichen Bilanz zu tun: Einen Titel hat Tuchel schon mal ganz grundsätzlich nie gewonnen. Und acht Siege in 18 Spielen sind keine Bilanz, die BVB-Fans Tuchel-Masken anfertigen lässt, wie das in der Ära Klopp mit Masken ihres Herzenstrainers der Fall war. Und obwohl der BVB als Tabellenvierter zum gleichen Zeitpunkt 2012, 2013 und 2014 nicht anders dastand, bleibt das Gefühl: Es rollt nicht, ständig büßt das schwarz-gelbe Ensemble bei bereits sieben Unentschieden Punkte gegen Gegner ein, die man dereinst im Eiltempo überfahren hatte. Aber dieser Fußball wird nun bei variabler Ballbesitzstrategie eher seltener gespielt.

Richtig ist aber auch: Platz drei und Eintracht Frankfurt sind in Reichweite. Viel an der derzeit schlechten Stimmung in Dortmund ist selbst gemacht. Ein Sieg am Samstag gegen RB Leipzig würde helfen. Am Freitag, als Tuchel über das anstehende Spiel (Samstag, 18.30 Uhr) sinnierte, sprach Zorc seine Erwartungen in andere Mikrofone: „Ich erwarte eine massive Leistungssteigerung.“ Das ist der neue Ton in Dortmund, den es unter Klopp so nie gegeben hätte. Seinerzeit sprach man noch mit einer Stimme. Wird das zum echten Problem?