Wut und Angst bei desolater Hertha
Berlin (dpa) - Laut fluchend hetzte Berlins Torhüter Thomas Kraft in die Stadion-Katakomben und trat vor Wut gegen eine Scheibe. Nach dem achten sieglosen Bundesligaspiel nacheinander fühlt Aufsteiger Hertha BSC erneut die ganze Schärfe des Abstiegskampfes.
„Jetzt sind wir in der Realität angekommen. Friede, Freude, Eierkuchen aus der Hinrunde, als alles rosig war - das ist vorbei“, erklärte ein desillusionierter Vizekapitän Christian Lell nach der 1:2-Heimpleite am 19. Meisterschafts-Spieltag gegen den HSV.
Während die Hamburger mit dem verdienten Sieg den Abstand zur Abstiegszone vergrößerten, geht bei Hertha wieder die Angst um. Der Abstand zu Relegationsplatz 16 ist auf zwei Punkte geschrumpft. „Darüber wird zu sprechen sein“, kündigte Michael Skibbe nach seinem misslungenen Heimdebüt als Berliner Coach eine rigorose Aufarbeitung einer teilweise „desolaten“ Hertha-Vorstellung an, die zumindest eine Stunde „weit unter Bundesliga-Schnitt“ lag, wie Skibbe einräumte.
Statt Mut und Elan nur Angst und Zurückhaltung. „So kann man in der Bundesliga keine Punkte holen“, erklärte Michael Preetz. „Es geht gegen den Abstieg, das haben wir von Anfang an gesagt und daran hat sich jetzt nichts geändert. Wir brauchen Punkte dafür. Damit müssen wir nun schleunigst anfangen“, ergänzte der Manager.
Wie die Befreiung aus einer misslichen Lage gelingen kann, zeigten vor 49 168 Zuschauern im eiskalten Olympiastadion die Gäste. Nach dem 1:5-Heimdebakel gegen Meister Dortmund hatten viele beim HSV „schon wieder alles negativ“ sehen wollen, erinnerte Trainer Thorsten Fink. Die Rückkehr des lange aussortierten David Jarolim (32), der Italiener Jacopo Sala (20) als Startelf-Neuling und der mutige Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier (22) waren die Schlüssel. „Es war eine ordentliche Leistung - keine Superleistung“, vermerkte Fink.
Kollege Skibbe spürt, dass nach seinem Null-Punkte-Start als Nachfolger von Markus Babbel die Aufbruchstimmung in Berlin dahin ist. Das kreative Loch durch die Rot-Sperre des Brasilianers Raffael konnten weder dessen Bruder Ronny und Änis Ben-Hatira beim 0:2 in Nürnberg, noch der Ex-Hamburger Tunay Torun gegen seinen alten Club stopfen. Der sonst so zuverlässige Routinier Lewan Kobiaschwili ließ Hamburgs Jungprofi Diekmeier zweimal seelenruhig flanken. Und die Innenverteidigung hinderte weder Marcell Jansen (24. Minute) noch Mladen Petric (45.+1) am erfolgreichen Torabschluss.
Dazu kommt noch Pech. Nach einem Zusammenprall mit HSV-Torwart Jaroslav Drobny musste Christoph Janker noch am Samstag wegen eines Jochbeinbruchs operiert werden. Lell und Andre Mijatovic sind am kommenden Samstag gegen Hannover 96 gelb-gesperrt. Roman Hubnik laboriert an einer Knieprellung. „Die Lage ist kritisch“, sagte Kapitän Mijatovic: „Aber wir haben schon oft unter Druck Moral bewiesen.“ In der Tat war auch gegen den HSV nach einer Trotzreaktion in der Schlussviertelstunde und dem Anschlusstreffer von Pierre-Michel Lasogga (82.) sogar noch ein Punkt drin.
Während auf Hertha die nächste Nervenschlacht wartet, freut sich der HSV mit 22 Punkten nun auf eine große Herausforderung. In Berlin habe seine Mannschaft „Charakter gezeigt“, betonte der Ex-Münchner Fink: „Jetzt haben wir das Heimspiel gegen die Bayern. Wir sind natürlich absoluter Außenseiter. Aber Gladbach hat es vorgemacht, wie man gewinnt. Vielleicht können wir es nachmachen.“