Lewandowski, Jeremies, Scholl: „Über die Schmerzgrenze“
Barcelona (dpa) - Robert Lewandowski gilt jetzt auch als harter Hund, einer wie früher Jens Jeremies oder wie WM-Held Bastian Schweinsteiger. Trotz eines Kieferbruchs, trotz gebrochener Nase, trotz einer gerade erlittenen Gehirnerschütterung war der Torjäger auf der Dienstreise des FC Bayern München nach Barcelona dabei.
Ein großes Ziel wie das Champions-League-Finale treibt Fußball-Profis an die Schmerzgrenze - und darüber hinaus? Mit einer Gesichtsmaske stand der furchtlose Pole im Camp Nou beim Abschlusstraining auf dem Platz. Bereit für ein Blitz-Comeback, über das in letzter Instanz Trainer Pep Guardiola befinden musste.
„Robert kennt seinen Körper. Er wird wissen, inwieweit er ein Risiko eingeht“, bemerkte Torhüter Manuel Neuer zu dem Wagnis, verletzt in ein Halbfinale zu gehen, mehr zu riskieren als im Liga-Alltag. Der FC Bayern ächzt auf der Zielgeraden der Saison unter großem Verletzungspech. Der Ausfall von Arjen Robben und Franck Ribéry potenzierte die Bedeutung von Lewandowski.
Robben hatte nach einem Bauchmuskelriss ebenfalls alles versucht, um gegen den FC Barcelona dabei zu sein. Beim Comeback im Pokal-Halbfinale gegen Dortmund erlitt er nach wenigen Minuten einen Muskelbündelriss in der Wade - das Saisonaus. Im selben Spiel brachen im Gesicht von Lewandowski Knochen, als ihn Dortmunds Torwart Mitch Langerack im Luftkampf umhaute. Es war ein Sportunfall. Aber aufzugeben kam für Lewandowski nicht infrage.
Arzt, Trainer, Spieler - viele stehen in der Verantwortung. Und nach dem spektakulären Rückzug von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt beim FC Bayern werden Verletzungen und der Umgang mit ihnen beim Rekordmeister besonders hinterfragt.
„Ein Arzt steht unter enormem Druck“, sagt Trainer Ottmar Hitzfeld, der 2001 mit den Bayern die Champions League gewann. Hitzfeld hat stets „vertrauensvoll“ mit Müller-Wohlfahrt zusammenarbeitet, wie er betont. Auch sie trafen knifflige Entscheidungen.
Mehmet Scholl spielte im Finale 2001 gegen Valencia mit einem gerissenen Band am Sprunggelenk. Vorm Halbfinale mussten sich Torjäger Giovane Elber und Mittelfeldabräumer Jens Jeremies jeweils Eingriffen am Knie unterziehen. Nur zwölf Tage später stand das Duo gegen Real Madrid wieder auf dem Platz.
„Bei so einem Spiel kann man auch über die Schmerzgrenze gehen“, sagte Jeremies, dem Knorpelteile aus dem Gelenk entfernt worden waren. Bei Elber waren es Knochensplitter. Das 1:0-Siegtor in Madrid erzielte der Brasilianer mit dem operierten linken Bein, das er nach dem Schuss küsste. „Nach zwölf Tagen wieder Fußball spielen zu können, ist schon Wahnsinn. Hier ein Tor zu schießen, ist noch wahnsinniger“, erklärte Elber. Es hatte sich gelohnt.
Jeremies erzielte im Rückspiel das 2:1-Siegtor. Der Preis für seinen Kraftakt war hoch. Im Endspiel fehlte der Nationalspieler. Trotzdem betonte Jeremies auch nach seiner Karriere, dass sich der Einsatz mit dem Champions-League-Triumph für ihn ausgezahlt habe.
Spieler geben für große Ziele alles. Nicht nur sie sind ungeduldig. Auch die Trainer. Guardiola hat das in einem ZDF-Interview mit bemerkenswerter Offenheit ausgesprochen. „Ich möchte nur, dass die Spieler so schnell wie möglich wieder spielen. Wenn es eigentlich acht Wochen wären, am besten nach sieben, wenn es vier Wochen wären, nach drei. Das ist alles, was ich will“, sagte er in dem auf Spanisch geführten Gespräch.
Für Hitzfeld spielt auch der Zeitpunkt eines Risikoeinsatzes eine Rolle. „Ist es ein Finale, nachdem hinterher eine längere Pause ist?“ Wie viel steht auf dem Spiel? Nationalspieler Sami Khedira unternahm vor einem Jahr alles, um nach einem Kreuzbandriss mit Real Madrid Champions-League-Sieger zu werden und danach mit Deutschland Weltmeister. Bastian Schweinsteiger fiel nach seinem heldenhaften Einsatz im Endspiel gegen Argentinien monatelang verletzt aus - der WM-Titel war es ihm wert.
Auch das Alter spielt eine Rolle. Schweinsteiger ist 30, Robben 31, Ribéry 32. Die Zeit für große Erfolge wird knapp. Ribéry pausiert inzwischen seit Mitte März, nachdem er gegen Schachtjor Donezk eine Stauchung des Sprunggelenkes erlitten hatte. Der Ehrgeiz, ganz schnell zurückzukehren, wurde zum Bumerang. „Wir haben vielleicht am Anfang zu viel Vollgas gegeben“, sagte Sportvorstand Matthias Sammer über den ewigen Balanceakt.