Champions-League-Halbfinale Trainer Diego Simeone: Der Mann, der Atletico Madrid ist
Trainer Diego Simeone ist der Star eines Teams, das Mittwoch im Champions-League-Halbfinale Bayern malträtieren will.
Madrid. Trainer Pep Guardiola ist sich zu schade. Es wäre an Matthias Sammer gewesen, am Mittwoch dem Treiben von Diego Simeone Einhalt zu gebieten. Der Fall wird ziemlich sicher eintreten, wenn Bayern München (20.45 Uhr/ZDF) im Stadion Vicente Calderon vor 54 907 heißblütigen Zuschauern zum Halbfinal-Hinspiel der Champions League bei Atletico Madrid antritt. Aber Sportvorstand Sammer ist erkrankt. Wer also bietet Simeone die Stirn?
Volkstribun, Flegel, Provokateur, Verrückter — Atleticos stets in Schwarz gekleidetem Trainer tritt man damit nicht zu nahe. Auf der Bank sitzt er nie. Simeone leidet in Bewegung mit dem Geschehen, kommentiert, stachelt die Zuschauer auf und bearbeitet die Schiedsrichter. „Er ist wie ein Fan“, sagt Guardiola.
Die Einflussnahme auf den vierten Offiziellen ist auch Spezialgebiet von Co-Trainer German Burgos. Der einschüchternde Koloss spielte früher als Torwart mit Simeone zusammen in der argentinischen Nationalmannschaft. Burgos werde „immer wie ein Türsteher vorgeschickt“, staunte Leverkusens Trainer Roger Schmidt, als er vergangene Saison mit Bayer im Achtelfinale im Elfmeterschießen an Atletico scheiterte — und dabei verbal schwer mit Burgos und Simeone aneinander geriet.
Für einen großen Skandal sorgte Simeone erst am Samstag, als er im Liga-Spiel gegen Malaga (1:0) einen Balljungen anwies, einen zusätzlichen Ball aufs Spielfeld zu werfen, um einen Konter zu unterbinden. Der Schiedsrichter verwies ihn auf die Tribüne, es droht eine Sperre für drei Liga-Spiele.
Nicht das erste Schurkenstück von Simeone. 2014 wurde er für acht Spiele gesperrt, weil er einem Schiedsrichter-Assistenten zwei Schläge auf den Hinterkopf gegeben hatte. Unvergessen ist sein Wutausbruch im Champions-League-Finale 2014 gegen den Stadtrivalen Real, als er auf Verteidiger Raphael Varane losgehen wollte. Viele Männer waren nötig, um ihn zurückzuhalten.
Es wäre allerdings falsch, Diego Pablo Simeone auf diese dunkel schillernde Facette zu reduzieren. Als er Ende 2011 als Trainer zu Atletico kam, war der Club sportlich nur Mittelmaß und stand finanziell am Abgrund. Simeone machte die „Rojiblancos“ (Rot-Weißen) mit seiner Arbeit zu einer der ersten Adressen in Spanien und auch in Europa. Gerade liefert sich Atletico mit dem FC Barcelona und Real wieder einen Dreikampf um die Meisterschaft — obwohl der Etat gerade mal ein Fünftel von dem der beiden Giganten beträgt.
In seiner ersten Saison gewann Simeone mit Atletico die Europa League, in der zweiten den spanischen Pokal. Im dritten Jahr wurde der Verein mit ihm zum zehnten Mal Meister und führte im verlorenen Champions-League-Finale gegen Real bis in die Nachspielzeit hinein mit 1:0. Der sensationelle Erfolg trug „El Cholo“— ein abwertender Ausdruck für indigene Menschen — den Status des Club-Heiligen ein.
Die Stimmen, wonach er mit seinem taktischen System Verrat an den Prinzipien des spanischen Fußballs betreibe, sind längst verstummt. Nicht Ballbesitz und Kombinationssicherheit sind Atleticos Mittel, sondern defensive Stabilität. Viele bescheinigen Simeone, im Spiel gegen den Ball die beste Mannschaft der Welt geformt zu haben. In 14 der letzten 19 Champions-League-Partien spielte Atletico zu Null. Wie schwer es ist, gegen die zwei tief stehenden, taktisch perfekt geschulten Viererketten zum Abschluss zu kommen, werden auch die Bayern erfahren.
„Bayern München ist ein großer Klub. Sie spielen nur auf Angriff. Aber wir sind ein zäh zu spielender Gegner“, sagt Simeone. Im Viertelfinale war Titelverteidiger FC Barcelona nach dem 2:1-Sieg im Hinspiel im Vicente Calderon am Bollwerk von Atletico gescheitert. Atletico gewann 2:0, der Bus stand quasi im Tor.
„Arbeit ist alles“, lautet Simeones Credo. Im Training müssen seine Profis stets an ihre Grenze gehen, im Spiel gilt: Jeder opfert sich für den anderen auf. Das schafft der Motivationskünstler in Simeone. „Als Fußballspieler habe ich das Maximum aus meinen begrenzten Möglichkeiten herausgeholt. Und weißt du warum? Weil ich Leidenschaft habe. Alles, was ich erreicht habe, verdanke ich meiner Leidenschaft“, sagte er. Guardiola erkennt das an: „Die Spieler folgen ihm. Er ist ohne Zweifel einer der besten Trainer der Welt.“
Trotz der Erfolge muss Atletico immer wieder Stars verkaufen. 2013 ging Falcao für 43 Millionen Euro zum AS Monaco, 2014 Diego Costa für 38 Millionen zum FC Chelsea, 2015 Arda Turan für 34 Millionen zum FC Barcelona. Der teuerste Einkauf war ein Flop. Jackson Martinez, für 37 Millionen im letzten Sommer vom FC Porto gekommen, kam mit den Anforderungen Simeones nicht zurecht. „Ich werde wegen ihm nichts an der Taktik ändern“, sagte der Trainer. Martinzes wurde nach Evergrande in China geschickt. Simeone bleibt. Ohne ihn ist alles nichts bei Atletico.