Höllische Bayern-Premiere bei Atlético - Boateng-Poker
Madrid (dpa) - Weltmeister Jerome Boateng verkörperte die ganze Entschlossenheit des FC Bayern. Für den großen Traum vom sechsten Endspiel der Münchner in der Champions League würde der Abwehrchef gegen Atlético Madrid sogar einen Kaltstart wagen.
„Ich bin bereit, ich weiß nicht, wie lange. Ich werde alles geben, wenn ich auf dem Platz stehe“, versprach der über drei Monate verletzte Boateng. Den Poker um den Einsatz des Innenverteidigers wird Pep Guardiola erst kurz vor dem Anpfiff beenden. „Drei Monate Pause ist eine lange Zeit. Aber Jérôme hat große Erfahrung, hat eine große Persönlichkeit. Wenn er mental fit ist, ist er einer der besten Innenverteidiger. Wir werden am Spieltag entscheiden“, sagte der Bayern-Coach in Erwartung eines Fußballabends der Extreme im gefürchteten Estadio Vicente Calderón.
Hitzige Zweikämpfe, heißblütige Fans, ständige Provokationen - die Bayern sind bei ihrer Premiere im Atlético-Stadion auf ein sehr spezielles Spiel gefasst. „Wir müssen die Ruhe bewahren“, mahnte Kapitän Philipp Lahm, der „zwei enge Spiele“ erwartet. „Wenn man im Halbfinale ist, dann hat man ein Ziel: Das ist das Finale“, sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Die Chancen stünden „50:50“.
Sportvorstand Matthias Sammer fehlte wegen einer Durchblutungsstörung des Gehirns auf dem Sonderflug LH 2570. Dafür war der langjährige Vereinspatron Uli Hoeneß wieder mit an Bord. „Es wird sicherlich ein heißer Tanz, Atlético spielt sehr körperbetont“, sagte Hoeneß.
Die Münchner Zuversicht dürfte durch das mögliche Comeback von Boateng noch etwas größer geworden sein. Gerade die Defensive muss gegen Atlético standhaft sein, kraftvoll und nervenstark. Boatengs schwere Oberschenkelverletzung ist auskuriert. „Es ist wichtig, dass er im Endspurt wieder dabei ist“, betonte Rummenigge mit dem Blick über das erste Duell mit Atlético hinaus; Boateng als Triple-Trumpf.
Für das Königsklassen-Endspiel am 28. Mai in Mailand will nicht nur Boateng an die Grenze gehen. „Halbfinale ist gar nichts, ich will das Finale spielen“, sagte Xabi Alonso, der zum neunten Mal in einem Semifinale steht. Aber gerade die spanische Bayern-Fraktion weiß, welche große Herausforderung in der Heimat auf die Münchner wartet. „Atlético war für mich das Team, gegen das ich am wenigsten spielen wollte“, gestand der als furchtlos geltende Javi Martínez.
Das 50 000 Zuschauer fassende Calderon gilt als eine Festung. Hier schaltete Atlético im Viertelfinale Titelverteidiger FC Barcelona aus. „Auch für erfahrene Spieler wie Lahm oder Neuer wird das eine große Erfahrung“, sagte Guardiola. Auf ein Training in der für die meisten Bayern-Stars unbekannten Arena verzichtete er trotzdem. „Ich hoffe, dass es ein heißer Tanz und ein intensives Spiel wird“, sagte der coole Nationalspieler Thomas Müller.
Es wird nicht nur eine harte Kraftprobe auf dem Platz, auch an der Seitenlinie könnte es hitzig zugehen. Guardiola kontra Diego Simeone lautet das Trainerduell. Pep, der Fußballästhet, der das Spiel kontrollieren und steuern will. Und der zum Ende seiner kurzen Münchner Ära nicht ein drittes Mal im Halbfinale scheitern möchte. „Wenn wir die Champions League nicht gewinnen, ist meine Arbeit in München vielleicht unvollendet“, erklärte Guardiola in Madrid.
Sein Kontrahent ist der Argentinier Simeone, ein Trainer-Heißsporn und Provokateur, dem jedes Mittel zum Erfolg recht ist. Simeone verhalte sich am Spielfeldrand wie ein Fan, bemerkte Guardiola. Bayerns Coach hat aber höchsten Respekt vor dem Gegner, der 2014 so unglücklich das Champions-League-Finale gegen den Lokalrivalen Real verlor. „In den letzten fünf Jahren spricht man in Spanien von Barcelona, Real Madrid - und Atlético“, betonte Guardiola.
Es ist keine gewagte Prognose, ein Spiel zu erwarten, in dem Atlético den Bayern Ball und Spielregie überlassen wird. Simeones Team lebt fürs Verteidigen, für körperbetonten Fußball, für ein schnelles Umschaltspiel mit den Zielakteuren Fernando Torres und Antoine Griezmann, der Titelverteidiger Barcelona aus dem Wettbewerb schoss.
Nur fünf Gegentore musste Atlético im laufenden Wettbewerb in zehn Spielen hinnehmen. 16 kassierte der Tabellenzweite in 35 Ligapartien. „Sie stehen sehr kompakt. Es ist kompliziert“, bemerkte Guardiola. Daran ändert auch der Ausfall des angeschlagenen Abwehrchefs Diego Godin zumindest im Hinspiel nichts.
Arturo Vidal wird im Bayern-Spiel als aggressiver Vorarbeiter wieder eine Schlüsselrolle zukommen. Guardiola muss zudem abwägen, wie offensiv er auftritt, ob mit Franck Ribéry, Douglas Costa, Thomas Müller und Robert Lewandowski. „Es wird eine Herausforderung für uns“, sagte Lewandowski. 90 Minuten Schwerstarbeit sind angesagt.