Champions League Warum es Korkut in Leverkusen schwer hat
Vor dem Spiel bei Atletico Madrid versucht der neue Trainer, sein Team ganz neu zu ordnen.
Madrid. Eine sportliche Krise ist gut zu erkennen, wenn sich die Beteiligten in Durchhalteparolen retten. Wie bei Bayer 04 Leverkusen derzeit.„Wir müssen das Gute mitnehmen und das Schlechte verbessern“, fabulierte zuletzt Ömer Toprak. Dass sich die Leverkusener am Mittwochabend ausgerechnet im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Atletico Madrid beweisen müssen, kommt reichlich ungelegen. Zumal das Hinspiel mit 2:4 verloren ging und es nun im Stadion Vicente-Calderon eines mittleren Fußballwunders bedarf. „Die Ausgangslage ist schwierig, aber wir haben im Fußball schon viel erlebt“, sagt Sportdirektor Rudi Völler.
Mitten drin in dieser kollektiven Schmerzerfahrung steht neuerdings Tayfun Korkut. Der 42-Jährige soll dem Verein nach der Ära Roger Schmidt nun schnell wieder ein Wohlfühl-Programm verschreiben. „Wir arbeiten daran, dass Bayer 04 seine Ziele erreichen wird“, hatte Korkut verkündet. Vor ein paar Tagen war der Coach wohl noch davon ausgegangen, dass er die zuletzt verschütteten Qualitäten der hochtalentierten Spieler wie Julian Brandt, Karim Bellarabi oder auch Kai Havertz nur wieder freigelegen kann. Mit „Ehrlichkeit, Authentizität und Nähe“ wollte er seine Aufgabe angehen. Gut eine Woche später, dürfte der Deutsch-Türke, der mit Hannover 96 und dem 1.FC Kaiserslautern erst zwei Trainerstationen hinter sich gebracht hat, nicht nur ahnen, dass seine Aufgabe komplexer sein wird. Das enttäuschende 1:1 gegen Werder Bremen in der Bundesliga machte deutlich, wie groß die Orientierungslosigkeit in Leverkusen derzeit ist.
Allein neue Motivationsmethoden werden nicht reichen. „Wir werden den Kopf hochheben und weiterarbeiten“, sagte Korkut desillusioniert. Der Kompass war den Spielern unter Schmidt abhanden gekommen. Dessen radikales Pressing, dass er in seinen ersten beiden Jahren unter dem Bayerkreutz kompromisslos praktizieren ließ, verwässerte zunehmend. Die Spieler wussten nicht mehr, ob sie weiterhin attackieren oder dann eben doch lieber abwartend agieren sollen, die Anfälligkeit in der Defensive stieg dadurch. Die auch von der Clubführung vorgegebene weniger kompromisslose Umsetzung des ursprünglichen Schmidt-Stils hat am Ende allen nicht gut getan: dem Club nicht - und am wenigsten dem Trainer selbst.
Korkut hatte mit einer seiner ersten Anweisungen deshalb auch gleich versucht, die Zeiten der Balljagd zu verkürzen und seinen Profis mehr Ballkontrolle zu verordnen. Dadurch sollte sich die Abwehr stabilisieren — was die kollektive Konfusion offenbar nur noch vergrößerte. Der Trainer bewegte sich an der Außenlinie mehr, als mancher Profi auf dem Spielfeld. Seine rotierenden Arme und seine emotional vorgetragenen Korrekturen während der 90 Minuten wirkten wie der mühsame Versuch einer erzwungenen Annäherung. „Wir werden eine Struktur aufbauen, in der sich alle Spieler wohlfühlen und mutig sein dürfen“, sagte Korkut nun vor dem Spiel in Madrid. Offenbar benötigt das Leverkusener Team zur Orientierung einen völlig neuen Leitfaden. Es liegt viel im Argen bei der Werkself. Umso schwieriger wird es für den Trainer sein, einen Neuaufbau zu gestalten und gleichzeitig gute Ergebnisse zu erzielen. Dass auch noch die Stammverteidiger Toprak (Bänderriss), Benjamin Henrichs (Gelbsperre) und auch Jonathan Tah ausfallen, mindert die Hoffnungen auf ein Fußballwunder zusätzlich.