Angst vor Island - Frankreichs Erinnerung an 2004
Clairefontaine (dpa) - Die Angst vor den Wikingern geht um in Fußball-Frankreich. Und dann kommt auch noch die Furcht vor einer Blamage wie einst gegen Otto Rehhagels Griechen. 2004 flog die französische Nationalmannschaft als Titelverteidiger gegen den späteren EM-Sieger im Viertelfinale raus.
Gegen eine Elf, die mit Rehhagelscher kontrollierter Offensive erstmal das eigene Tor absicherte, aber längst nicht mit der Wucht der Isländer von 2016 spielte.
„Frankreich auf einem Vulkan!“, schrieb „Le Parisien“ bereits in fettgedruckten Buchstaben über dem Artikel zu der Partie am kommenden Sonntag (21.00 Uhr) in Saint-Denis. „Schreit nicht zu schnell Sieg! Gegen Island im Viertelfinale zu spielen, wird kein Spaß für die französische Mannschaft. Alles andere!“, prophezeite „France Football“.
Der Respekt der Grande Nation vor dem kleinen Island ist mehr als spürbar, auch wenn sich zunächst noch keiner der Spieler oder auch Trainer Didier Deschamps über den Gegner im nächsten K.o.-Spiel äußerte. In einer Umfrage des Senders Équipe21 fanden bis Dienstagmittag aber 64 Prozent, dass Angst vor Island durchaus angebracht sei.
„Les Bleus haben nicht das Recht gegen Island zu verlieren“, kommentierte der Sportblatt „L'Equipe“, denn: „Der Grad des Scheiterns verschiebt sich automatisch mit der Reputation des Gegners.“ Und Island ist halt doch nur Island, wenn auch jetzt schon die absolute Sensation der EM. Noch ohne den Gegner zu kennen, hatte Achtelfinal-Doppeltorschütze Antoine Griezmann klargestellt: „Ein Aus im Viertelfinale wäre ein Versagen.“
Gegen Mannschaften mit einer defensiv kompakten Spielweise taten sich die französischen Spätzünder im bisherigen Turnierverlauf ausgesprochen schwer. Das war bei den Last-Minute-Siegen gegen Rumänien (2:1) und Albanien (2:0) in der Gruppenphase der Fall, ebenso beim 2:1-Erfolg über Irland im Achtelfinale.
Ex-Nationalspieler William Gallas ist dennoch überzeugt: „Ich glaube, dass wir in der nächsten Partie das Spiel machen.“ Über 90 Minuten gelang den Franzosen genau das nicht. Deschamps veränderte daher bisher in jeder Partie seine Mannschaft, gegen Island muss er es auch noch zwangsläufig. Innenverteidiger Adil Rami und Mittelfeldantreiber N'Golo Kanté sind nach jeweils zwei Gelben Karten gesperrt.
Der dritte Startelf-Einsatz von Bayerns Kingsley Coman, der gegen Irland für Kanté ins Spiel gekommen war, ist dennoch eher unwahrscheinlich. Selbst wenn seine Knöchelverletzung nicht gravierend ist. Der 20-Jährige soll an diesem Mittwoch beim ersten öffentlichen Training im Centre National du Football in Clairefontaine nach zwei Tagen Ruhe und Erholung wieder mitwirken. Das Training vor den Fans dürfte der ganzen Mannschaft weitere Kraft geben, das Mindestziel Halbfinale zu erreichen - dort wartet in Marseille entweder Deutschland oder Italien.
Am Dienstag stimmte Deschamps seinen 23-köpfigen Kader noch hinter verschlossenen Türen auf die Isländer ein. Auf weitere Experimente wolle sich der Coach gegen die Männer von der rauen Insel nicht einlassen, meinte „Le Parisien“ unter der Überschrift: „Sturm unter der Schädeldecke“.