Boateng: Aus dem Krankenstand zum Premierentor

Lille (dpa) - Die riesige Freude von Jérôme Boateng über den Premierentreffer entlud sich in einem gigantischen Jubelsprung. Der Abwehrchef sprintete nach seinem Führungstor im EM-Achtelfinale zur Trainerbank und schloss Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physio Klaus Eder in seine Arme.

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Die beiden hatten den verletzten Weltmeister in bangen Tagen vor dem Spiel gegen die Slowakei (3:0) behandelt und diesen starken Auftritt des Anführers erst möglich gemacht.

„Die letzten Tage haben die Physiotherapeuten Vollgas gegeben, ohne sie hätte ich nicht spielen können“, erklärte Boateng. Der 27-Jährige durfte sich bei seiner Auswechslung in der 71. Minute dann Extra-Beifall abholen. „Die Auswechslung war eine Vorsichtsmaßnahme. Ich musste nichts riskieren.“

Ecke, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Boateng schießen, Boateng schießt - und dessen erstes Nationalmannschaftstor im 63. Länderspiel war nach acht Minuten der Partie am Sonntag in Lille perfekt. Beim wuchtigen Rechtsschuss hielt die rechte Wade wie in der gesamten Partie. Die Verletzung hatte ihn beim 1:0 im Gruppenfinale gegen Nordirland zur Auswechslung und danach zu einer Trainingspause gezwungen. „Ich habe den Ball gut getroffen. Es wurde auch Zeit, dass er mal reingeht. Ich freue mich für die Mannschaft, die heute sehr gut gespielt hat“, sagte der Tor-Debütant.

Erst im Abschlusstraining am Samstag kickte Boateng erstmals wieder in der Mannschaft mit. „Die Belastung war für ihn gut und notwendig vor dem Spiel“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, der seinen „Führungsspieler“ gleich wieder in die erste Elf beorderte.

In der Defensive ist der Innenverteidiger seit langem der Sicherheitschef. Wegen seiner klugen und präzisen Pässe in der Spieleröffnung wurde er von Kollegen Thomas Müller auch schon augenzwinkernd als „Kaiser“ bezeichnet - in Anspielung an die Künste von Franz Beckenbauer. Und jetzt klappt endlich auch im Nationalteam das Toreschießen.

„Ein Tor wäre nicht schlecht, umso eher umso besser“, hatte Boateng noch im EM-Trainingslager erklärt. Im fünften Länderspiel danach ging der Wunsch des früheren Torschützenkönigs - in der Jugend hatte er auch als Stürmer agiert - in Erfüllung. Die tagelange Ungewissheit über die Gesundheit machte das Tor für ihn noch etwas emotionaler.

Diese Tage vor dem Spiel, in denen im deutschen Fußball wieder einmal um eine „Wade der Nation“ gebangt wurde, unterstrichen nochmals Boatengs gestiegenen Stellenwert beim Weltmeister. „Er ist angesehen, weil jeder weiß, dass er ein Weltklasse-Innenverteidiger ist“, hob Löw hervor. Dazu hat das Wort von Boateng immer mehr Gewicht im Team. „Ich denke, dass ich mir das selbst erarbeitet und mir meine Position erkämpft habe“, sagte der Münchner.

In dieser Saison musste Boateng allerdings eine Sache noch erlernen: Geduld zu haben. Nach einem Muskelbündelriss im Adduktorenbereich zum Rückrundenstart war der Innenverteidiger erstmals länger verletzt. „So etwas möchte ich nicht wieder erleben, das ist eine schwere Zeit gewesen. Ohne Fußball fehlt etwas Riesiges in meinem Leben“, sagte der Tattoo-Liebhaber. Noch mehr als zuvor achte er seitdem „auf kleine Signale“, wie er verriet. Bei der zwickenden Wade hatten Tor-Debütant, Bundestrainer und Mediziner alles richtig gemacht.