Weltmeister schürt EM-Euphorie - 3:0 gegen Slowakei
Lille (dpa) - Schon kurz nach dem souveränen Viertelfinal-Einzug hakte Joachim Löw die bisherigen Europameisterschafts-Auftritte als Aufwärmphase ab. Erst jetzt sieht sich der Fußball-Weltmeister in Frankreich vor echten Herausforderungen.
„Bei allem Respekt für den Gegner: Das war nicht der Maßstab, nicht der Gradmesser“, sagte der Bundestrainer ohne jede Euphorie nach dem souveränen 3:0 (2:0)-Sieg gegen hoffnungslos überforderte Slowaken. „Es gibt andere Mannschaften, die sind von der Qualität und Stärke ganz anders anzusiedeln. Wir müssen uns weiter steigern, wenn wir das Turnier gewinnen wollen“, unterstrich Wettkampftrainer Löw.
Auf jeden Fall hat der starke Auftritt am Sonntag auf dem neu verlegten Rasen im Stade Pierre-Mauroy von Lille die Lust im Team und die Euphorie bei den Fans in der Heimat wieder richtig geweckt. Erstmals bei dieser EM verließen die deutschen Spieler gelöst und richtig zufrieden die Wettkampfstätte Richtung EM-Basiscamp am Genfer See. Die Stimmung erinnerte sogar schon ein wenig an die triumphalen WM-Tage vor zwei Jahren. Der immer nach Verbesserungen fahndende Löw sprach nach dem vierten Zu-Null-Spiel von einer „sehr, sehr guten Leistung“. Doch auch da schloss er die klare Warnung an: „Jetzt kommt mit Spanien oder Italien ein anderes Kaliber.“
Erst einmal aber durften sich vor allem Jérôme Boateng nach seinem ersten Länderspieltreffer, der als „Mann des Spiels“ ausgezeichnete Stammelf-Rückkehrer Julian Draxler sowie EM-Rekordtorjäger Mario Gomez über den ungefährdeten Achtelfinal-Erfolg freuen. „Das ist so ein schöner Moment, den will ich genießen und gar nicht mehr zurückdenken. Es macht riesigen Spaß in dieser Mannschaft zu spielen“, sagte Gomez. Der „ewige“ Lukas Podolski, der als Einwechselspieler wie auch sein Kumpel Bastian Schweinsteiger noch einige Minuten mitwirken durfte, hörte gar nicht mehr damit auf, die deutschen Fans in der Arena abzuklatschen.
Höher als 3:0 hatte ein deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei einer EM nie zuvor gewonnen. Der rechtzeitig von einer Wadenverhärtung genesene Abwehrchef Boateng (8. Minute), Knipser Gomez (43.) und ein verbesserter Draxler (63.) sorgten in Lille für klare Verhältnisse. Es hätten an diesem Sonntagabend noch weit mehr Bälle im slowakischen Tor landen können und sogar müssen.
Mesut Özil vergab sogar einen Foulelfmeter mit historischer Dimension (13.). Es war der erste Fehlschuss vom Punkt bei einer EM seit dem Fauxpas von Uli Hoeneß im Elfmeterschießen beim verlorenen Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei. Für Özil war es der erste Fehlschuss vom Punkt nach fünf verwandelten Elfmetern im Nationaltrikot. Auch aus dem Spiel heraus vergab der Spielmacher des FC Arsenal noch weitere beste Torgelegenheiten.
Ins Gewicht fiel dies nicht, da der Kontrahent einfach zu schwach war. Ein einziges Mal war das deutsche Gehäuse ernsthaft bedroht. Doch Welttorhüter Manuel Neuer fischte den Kopfball von Juraj Kucka aus dem Eck (41.).
Die deutsche Elf ließ den Slowaken mit Dauerdruck und Kombinationen keine Luft zum Verschnaufen. Wieder einmal funktionierte das Gegenpressing im Mittelfeld durch das starke Duo Toni Kroos und Sami Khedira, dazu ließen in der Abwehr Boateng und Mats Hummels auch im vierten Spiel kein Gegentor zu. Das gab es zuletzt 1978 bei einer Endrunde.
Gomez schwärmte von den „zwei Zauberfüßen“ Draxlers, der zum „Man of the Match“ gekürt wurde. Draxler selbst sprach von einem „schönen Tag für die Mannschaft und mich“. Auch Boateng war glücklich, dass ihm sein erstes Tor im DFB-Dress gelungen war. „Es wurde auch Zeit, dass er mal reingeht“, sagte der Verteidiger, dessen Wade keine Probleme bereitete. Nach einer Ecke von Kroos traf Boateng mit einem satten 18-Meter-Schuss, der von der slowakischen Hintermannschaft noch leicht abgefälscht wurde.
Mit der überaus dominanten Vorstellung zeigte sich die Löw-Elf schon gerüstet für den Viertelfinal-Klassiker am Samstag (21.00 Uhr) in Bordeaux gegen Titelverteidiger Spanien oder Ex-Weltmeister Italien. „Jetzt kommen die Spiele, auf die wir uns freuen. Deshalb sind wir ja zur Euro gefahren. Wir wollen den Titel ganz klar. Und dafür musst du auch solche Mannschaften schlagen“, sagte der effektive Gomez. Mit nun fünf EM-Treffern hat er zum bisherigen Rekordschützen Jürgen Klinsmann gleichgezogen.
Die Hoffnungen auf einen ähnlichen Coup wie beim 3:1-Testspielsieg in Augsburg sank bei den Slowaken spätestens in der 43. Minute auf ein Minimum. Nach einer feinen Einzelaktion von Draxler traf Gomez aus kurzer Entfernung. Für den Torschützenkönig aus der Türkei war es das 29. Länderspiel-Tor. Entschieden war das Spiel endgültig mit dem Tor von Draxler, der seine starke Leistung mit dem Volleyschuss ins Netz nach Hummels' Kopfball-Vorlage krönte.
Der Treffer war sogleich das Signal an Löw, Kräfte für höhere Aufgaben zu schonen. Draxler und Boateng machten in der 72. Minute für Podolski und Benedikt Höwedes Platz. Kurz darauf durfte auch Kapitän Schweinsteiger bei seinem 16. EM-Einsatz weitere Minuten Einsatzzeit sammeln, als er für den gelb-vorbelasteten Khedira eingewechselt wurde.