EM 2016 Éder-Tor: Italienische Debatte über den eingebürgerten Brasilianer
Der eingebürgerte Brasilianer Eder schießt die Squadra Azzurra ins Achtelfinale und muss sich für seine Vita mal wieder rechtfertigen — da hält Nationaltrainer Conte ein flammendes Plädoyer
Toulouse. Der Matchwinner hatte sich wirklich beeilt. Selten hat sich ein „Man of the match“ gekürter Akteur so schnell auf das Podium geschwungen wie Éder Citadin Martins, kurz Éder, am späten Freitagnachmittag im Zeltanbau des Stadium Municipal von Toulouse. Der 29-Jährige lächelte selig, verschränkte beide Arme und wartete auf die Fragen, die dem Siegtorschützen der italienischen Nationalmannschaft nach dem 1:0 (1:0) gegen Schweden gestellt werden sollten. Auf seinem linken Oberarm zeichnete sich das an allen Trikotärmeln angebrachte „Respect“-Logo ab — trotzdem wirkte der erste Einwand aus der dritten Reihe fast despektierlich: Was der eingebürgerte Brasilianer denn zur Ansicht von Inter-Trainer Roberto Mancini sage, für die Squadra Azzurra sollten doch nur Spieler auflaufen, die auch in dem Land geboren sind.
Der aus dem brasilianischen Lauro Müller im Bundesstaat Santa Catarina stammende Stürmer rückte seine Kopfhörer zurecht, ob er auch nichts falsch verstanden habe — und konterte umgehend. Auf diese Kontroverse hatte Éder nach seinem dritten Tor im zwölften Länderspiel ungefähr so viel Lust wie Mesut Özil auf die Rechtfertigung seiner Mekka-Reise. „Das ist doch jetzt Polemik. Wenn sie zehn Leute fragen, werden fünf dies sagen und fünf das. Das hilft uns nicht weiter. Ende der Ansage.“
Doch so einfach ist die Debatte nicht kleinzukriegen, die der Coach von Inter Mailand — wohin Éder zu allem Überfluss in der Rückrunde verliehen war - schon im Frühjahr 2015 anzettelte, als Nationaltrainer Antonio Conte erstmals den damals noch bei Sampdoria Genua spielenden Éder und den in Argentinien geborenen Mittelfeldspieler Franco Vazquez berief. Derjenige, der nur italienische Verwandte habe, verdient es nicht, in der italienischen Nationalelf zu spielen, ätzte Manicini damals. Der Angreifer bekam seinen italienischen Pass erst nach der Hochzeit mit seiner italienischen Frau. Und hat er nicht während der WM 2014 noch auf Instagram ein Foto eingestellt, dass ihn als Fan der Seleção mit einer brasilianischen Flagge zeigte?
Aber: Conte hatte im Dauerstreit mit Mancini oft genug auf die Gepflogenheiten in anderen Nationen hingewiesen. „Ich bin nicht der erste und ich werde auch nicht der letzte Nationaltrainer sein, der im Ausland geborene Profis nominiert“, sagte er einmal. Sonst hätten Lukas Podolski oder Miro Klose ja auch nie für Deutschland spielen dürfen. Der scheidende Nationaltrainer fühlte sich am Freitag mit seiner Haltung bestätigt. Man solle sich, sagte der 46-Jährige süffisant, mit jenen Spielern zu solidarisieren, „die in diese Mannschaft passen, die sich einfügen und die Verantwortung übernehmen.“
Er habe mit der in der Heimat heiß diskutierten Nominierung seiner Nummer 17 nicht nur sportlich, sondern auch charakterlich richtig gelegen. „Éder hat mir in den vergangenen zweieinhalb Wochen gezeigt, dass er unbedingt bei der EM dabei sein will. Und ich brauche ihn wegen seiner Geschwindigkeit und seiner Technik.“ Tatsächlich war es der wuselige Wellenbrecher, der in der 88. Minute eines langatmigen Abnutzungskampfes drei Schweden wie Slalomstangen stehen ließ und mit einem platzierten Schuss die Erlösung besorgte.
Danach strahlte das Leichtgewicht wie ein Lausbub. „Ich bin einfach sehr glücklich. Wir gehören alle zusammen, und deswegen ist das ein großartiges Erlebnis.“ Für Eders Teamfähigkeit sprach, dass er unbedingt herausstellen wollte, wer ihm innig gratuliert hatte: seine nicht berücksichtigten Angriffskonkurrenten Ciro Immobile und Lorenzo Insigne. Und kein böses Wort kam ihm über den unglücklichen Sturmpartner Graziano Pelle über die Lippen, auch wenn er sich erst nach dessen Auswechslung entfaltete. Man müsse halt Geduld bei diesem Turnier zeigen: „Frankreich und Spanien ist es genauso gegangen.“
Sein Mentor Conte hatte in seinem vor allem defensiv mal wieder exzellent funktionierenden Kollektiv so viel Gutes erkannt, dass er aus Toulouse allen Tifosi empfahl, sie dürften nach dem erreichten Achtelfinale ruhig Flagge zeigen. „Die Schweden sind hier alle in Gelb gewesen. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen bei uns blaue Trikots tragen, es reicht schon ein blaues T-Shirt.“ Und wenn einige jetzt sogar Éder auf dem Rücken tragen, noch besser.