Nach Sieg gegen Portugal Für Deutschland ist jetzt alles drin

München · Die deutsche Nationalmannschaft agiert gegen Portugal konsequent und mit viel Spielfreude. Nun ist bei der EM alles möglich.

 Deutschlands Joshua Kimmich jubelt nach dem Spiel.

Deutschlands Joshua Kimmich jubelt nach dem Spiel.

Foto: dpa/Christof Stache

Das deutsche Team hat im zweiten Gruppenspiel bei dieser Fußball-Europameisterschaft überzeugt. Beim 4:2 gegen Portugal trafen Kai Havertz und Robin Gosens. Dazu gab es erstmals bei einer EM zwei Eigentore zu Gunsten einer DFB-Elf.Mutiger wolle man spielen, hatte Bundetrainer Joachim Löw am Freitagabend angekündigt, nachdem die Mannschaft am Spielort München angekommen war.

Die Taktik wolle er umstellen. Das Ziel: Mehr Offensivdrang und Durchschlagskraft erzeugen. Eine Umstellung des Systems oder Personals bedürfe es dafür aber nicht, betonte der Bundestrainer.Und tatsächlich begann er wie zum Auftakt gegen die Franzosen im 3-4-3-System mit identischer Aufstellung. Joshua Kimmich spielte erneut auf der Außenbahn. Toni Kroos und Ilkay Gündogan besetzten das Zentrum im Mittelfeld. Vorne agierten Thomas Müller, Serge Gnabry und Kai Havertz als rotierender Sturm.

Gnabry im Abseits, Gosens Tor zählt nicht

Die DFB-Auswahl legte wie von Löw gefordert mutig los. Mit einer energischen Rede soll der Bundestrainer die Spieler am Freitagvormittag in Herzogenaurach noch einmal eingestimmt haben. Wie schon gegen Frankreich begann die deutsche Mannschaft stark und übernahm schnell die Spielkontrolle. Im Gegensatz zum Auftaktspiel kreierte sich die Auswahl allerdings schon früh deutliche Chancen. Erneut machte die DFB-Elf vor allem über die Außenbahnen Druck. Was gut funktionierte: Vor allem Robin Gosens rückte, war er auf der ballfremden Seite, mit in den Sechzehnmeter-Raum.

"Wir müssen die Box besser besetzen", hatte Kimmich am Tag zuvor betont. Sein Anliegen wurde gut umgesetzt - vor allem in der 6. Minute.Müller hatte den Ball am Boden behauptet, Kimmich danach die Flanke geschlagen. In der Mitte verpasste erst Gnabry, dann wuchtete der hereinfliegende Gosens den Ball artistisch ins Tor. Direkt vor der deutschen Fankurve ließ Gosens sich schon feiern, da kam das Zeichen vom englischen Schiedsrichter. Anthony Taylor erkannte nach dem Eingreifen des Videoassistenten das Tor ab. Gnabry war bei Kimmichs Flanke knapp im Abseits gestanden.

Portugal: Ein Konter, ein Treffer - natürlich von CR7

Auch danach drängte die DFB-Elf weiter und brachte den Ball einige Male gut bis vor das Tor der Portugiesen. Doch dann fehlte meistens die letzte Konsequenz. Da brachte Gnabry (7. Minute) den Ball von der rechten Seite zu wenig druckvoll auf den eingelaufenen Gosens. Zwei Minuten später war der portugiesische Torhüter Rui Patricio noch mit den Fingerspitzen an einem Schuss von Havertz. Schön, aber ohne Ertrag. Wie man aus einer Chance ein Tor macht, zeigten in der 15. Minute die Portugiesen. Der Titelverteidiger schaltete nach einer Ecke der deutschen blitzschnell um.

Cristiano Ronaldo köpfte im eigenen Strafraum den Eckball von Kroos nach vorne zu Bernardo Silva, der zu Diogo Jota passte. Der flinke linke Offensivmann legte den Ball zum mitgelaufenen Ronaldo, der ihn zum 1:0 über die Linie drückte. Es war das dritte Tor im zweiten Spiel dieser EM für den 36-Jährigen. Insgesamt zwölf Treffer bei Europameisterschaften hat der Kapitän der Portugiesen nun auf dem Konto. EM-Rekordtorschütze war er zuvor schon. Gegen Deutschland hatte er zuvor allerdings noch nicht getroffen. Im fünften Anlauf ist es nun gelungen. "Der Cristiano kann mehr als nur Cola-Flaschen verschieben", hatte Löw am Freitagabend über die Stärken des Stars von Juventus Turin gesagt. Ja, der Mann kann auch noch immer einen Spurt über das gesamte Feld ansetzen und hat danach noch genügend Kraft, um einzunetzen und zu jubeln. Vor der portugiesischen Kurve stand er auf dem Feld und warf immer wieder die Arme in die Höhe.

Erstmals ein EM-Eigentor zu Gunsten der deutschen Mannschaft

Die DFB-Auswahl ließ sich durch den Gegentreffer nicht aus dem Konzept bringen. Es ist wohl die größte Leistung an diesem Abend gewesen. Nach dem 1:1 der Ungarn gegen Frankreich wäre die DFB-Auswahl bei einer Niederlage als Gruppenletzter vor dem letzten Gruppenspiel am kommenden Mittwoch gegen Ungarn gewaltig unter Druck gestanden.Portugal kam zwar etwas besser in die Partie, lauerte aber weiter vor allem auf Konter, während die deutsche Mannschaft das die Spielkontrolle wieder übernahm. Ein Schuss des starken Gosens (18.) sendete das Signal: Wir sind noch da!In der 35. Minute bekam die Löw-Auswahl den verdienten Lohn für ihre Angriffsbemühungen. Wieder war es eine Flanke von rechts nach links, die für Gefahr sorgte. Kimmich flankte zu Gosens, der erneut konsequent zur Sache ging und den Ball mit viel Druck vor das Tor beförderte. Ein Schuss, eine Flanke? Egal. Havertz und Ruben Dias befanden sich im Zweikampf. Das Bein des Portugiesen beförderte den Ball zum 1:1 ins Tor.

Nur vier Minuten später legte die DFB-Auswahl nach. Müller brachte den Ball von der linken Seite in den Strafraum, doch Havertz kann die Vorlage nicht verwerten. Kimmich, der am rechten Pfosten lauerte, legte den Ball von der Grundlinie zurück. Er traf dabei das Bein von Raphael Guerreiro, der das nächste Eigentor produzierte.

Havertz und Gosens treffen

Kurios: Während zum Auftakt gegen Frankreich Mats Hummels ins eigene Tor traf, gab es nun gegen den Titelverteidiger zum ersten Mal in der EM-Geschichte Eigentore zu Gunsten der deutschen Mannschaft. 2:1 führte die deutsche Nationalmannschaft und stand doch noch ohne eigenes Tor im ganzen Kader da. Das änderte sich in der 51. Minute. Torschütze Havertz leitete den Angriff, der über Müller zu Gosens ging, selbst ein. Der Linksaußen flankte in die Mitte, wo Havertz verwertete.

Der 22-Jährige von Champions-League-Sieger FC Chelsea legte danach lässig den Arm um Sturmkollege Gnabry und lief in Richtung seiner Mitspieler, während auf den Rängen in der Münchner Arena lautstark gejubelt wurde.Angetrieben von den überwiegend deutschen Fans unter den 14 000 Zuschauern, agierte die DFB-Auswahl weiter konsequent und mit viel Spielfreude.

Einen weiteren schönen Angriffszug über Müller und Havertz nutzte der überragende Gosens zum 4:2. Der Profi von Atalanta Bergamo köpfte nach einer Flanke von Kimmich ein. "Oh, wie ist das schön", sangen die Fans danach auf den Rängen. Doch Portugal gab nicht auf. Nachdem Jota in der 67. Minute das 2:4 erzielte, witterte der Europameister noch einmal seine Chance. Renato Sanches traf noch den Pfosten, auf deutscher Seite zog Müller nur knapp über das Tor - es bliebt beim 4:2.

Noch alles offen in Gruppe F

Der Sieg gegen den Europameister ist ein Erfolg, den nur wenige Beobachter der deutschen Mannschaft in dieser Art zugetraut hatten. Die DFB-Auswahl scheint endgültig im Turnier angekommen. Nach dem 1:1 zwischen Ungarn und Frankreich ist in der Gruppe F nun alles offen. Deutschland hat noch Chancen auf den Gruppensieg, kann aber auch mit einer Niederlage gegen Ungarn auf den vierten Platz abrutschen. Sicher steht die Mannschaft von Löw also noch nicht im Achtelfinale. Mit einer Leistung wie gegen Portugal aber hat sie allerbeste Chancen in diesem Turnier weiterzukommen. Vielleicht sogar weit.