Englands „Obsession“: Schmerzhaftes Erinnern an EM 1996

Chantilly (dpa) - Die Bilder schmerzen jeden England-Fan auch noch nach 20 Jahren. Gareth Southgate läuft beim Elfmeterschießen im EM-Halbfinale 1996 an. Andreas Köpke hält. Andreas Möller bringt Deutschland mit einem wuchtigem Schuss in die Mitte ins Endspiel.

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In diesem Sommer der Europameisterschaft steht für die Three Lions nicht nur das Jubiläum des bislang letzten (und einzigen) großen Titelgewinns bei der WM 1966 an - auch die Heim-EM ist kurz vor dem Turnier in Frankreich allgegenwärtig. „Englands Obsession für die Euro-1996-Nostalgie“, wie die „Daily Mail“ es nannte, lässt tief in die Seele des stolzen, aber fatalistischen Fußball-Lands blicken.

In der BBC durfte Alan Shearer das Heim-Turnier wiederaufleben lassen. In der 60-minütigen Dokumentation besucht der damalige Euro-Topscorer Weggefährten wie Paul Gascoigne oder Coach Terry Venables und formuliert bedeutungsschwer: „In dem Leben von jedem von uns gibt es Momente, in denen du zurückblickst und denkst: Was wäre wenn?“

Was wäre, wenn Gascoigne seine Hereingabe in der Verlängerung gegen Deutschland zum Golden Goal verwertet hätte. Was wäre, wenn dem Erzrivalen doch einmal die Nerven in einem Elfmeterkrimi versagt hätten. „Ich weiß nicht, wie wir nicht gewonnen haben“, grämt sich Venables.

„Es ist schwierig, einem deutschen Fan, dessen Team so oft das Endspiel einer WM und EM erreicht hat, zu erklären, warum wir so einen Wirbel um ein Turnier machen, das mit dem Halbfinale zu Ende ging“, schreibt der „Telegraph“ spöttisch. „Aber es macht total Sinn: Es war die beste EM, die England jemals hatte.“ Fünfmal schafften die Three Lions nicht einmal die Qualifikation, die drei jüngsten Trips in die K.o.-Phase endeten jeweils im Elfmeterschießen. Immer wieder große Hoffnungen, immer wieder große Enttäuschungen.

Schon während der EM 1996 besangen die Fans in ihrer Turnier-Hymne mit dem Refrain „Football's coming home“ die „30 Jahre des Leidens“ ohne Titel, die sich inzwischen zu einem halben Jahrhundert ausgeweitet haben. „Es ist nicht das Gefühl, dass wir gewinnen werden, aber auch nicht, dass wir verlieren werden“, beschreibt David Baddiel, Komiker und Co-Autor des Kulthits, die Attitüde der englischen Anhänger. „Es liegt irgendwo dazwischen. Der Wunsch ist Vater des Gedankens. Wir werden wahrscheinlich verlieren - aber man weiß ja nie.“

Die offiziellen Feiern blicken diesen Sommer noch 30 Jahre weiter zurück. In den kommenden Wochen eröffnen im Nationalen Fußball-Museum in Manchester und im Wembley Stadion zwei Ausstellungen unter dem Titel „1966: Still Gleaming“ (1966: immer noch glänzend).

Am Jahrestag am 30. Juli wird der Final-Triumph gegen Deutschland noch einmal in Wembley Minute für Minute mit historischem Material nachgestellt - und landesweit in Kinos übertragen. Der Verband wirbt mit dem Satz „Der beste Tag des englischen Fußballs“ für die Veranstaltung. In Frankreich wollen Wayne Rooney & Co. aber zuvor der englischen Erinnerungskultur ein weiteres historisches Datum hinzufügen.

Die gescheiterten Anläufe der Three Lions:

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