Fassungslose Tifosi trauern und sind stolz

Rom (dpa) - Bittere italienische Tränen: Fassungslos, entsetzt und wütend haben die Fans von Mailand bis Palermo die herbe Niederlage ihrer Squadra Azzurra beim Public Viewing und in den Bars verfolgt.

Aber bald kam auch Stolz in dem Land der fußballbegeisterten Tifosi auf:

Immerhin hatte es die Squadra um Cesare Prandelli dann doch viel weiter gebracht, als man es ihr zugetraut hatte - und vor allem mit dem Sieg im Halbfinale über Germania die Welt beeindruckt. Die roten spanischen Furien überrannten die Azzurri zwar im Finale, Italiens Leistung während der EM lässt jedoch viele für die Zukunft hoffen.

„Grazie an die Azzurri für diesen Traum“, würdigte der Mailänder „Corriere della Sera“ am Morgen danach die Tatsache, dass die Squadra völlig unerwartet bis ins Finale vorgestoßen war. Gut, das Match in Kiew verlief weitgehend als Einbahnstraße auf Gianluigi Buffons Tor zu. Doch die römische „La Repubblica“ machte den Trainer Prandelli zum „moralischen Sieger“ dieser Europameisterschaft. Vor zwei Jahren bei der WM in Südafrika waren die Azzurri kläglich in der Vorrunde gescheitert. Und vor dieser EM erschütterte den sowieso von Krisen gebeutelten Stiefel der Fußball-Wettskandal. Das machte wenig Mut.

Und dieser Mut ist gemischt mit einer Portion Anerkennung: „Ihr seid trotzdem alle zusammen ganz großartig gewesen, ein Nationalteam, wie wir es uns gewünscht haben“, twitterte ein Luca Troiano nach der Schlappe von Kiew. „Das geht in Ordnung so, vergessen wir darüber die anderen Spiele nicht“, schloss sich ein Aldo Pecora an. Philosophisch fasste es ein anderer Tweet zusammen: „Die Stärkeren gewinnen..., so ist der Sport.“ Auf die Trauer folgte so italienische Gelassenheit.

„Mit Würde haben sie verloren. Bauen wir jetzt diesen Traum wieder auf!“, blickt „La Stampa“ in die Zukunft. Denn in diesen Tagen haben gleich zwei „Super-Marios“ dem in einer Schulden- und Wachstumskrise steckenden Italien den Rücken gestärkt: Balotelli auf dem Platz und Premier Monti auf dem Brüsseler EU-Parkett. „Heute kehren wir an die Arbeit zurück“, fordert die Turiner Zeitung noch: Sollten die Marios einen Ruck geben können, auf dass das Land die Ärmel aufkrempelt, im Fußball wie im Alltag? Wenn auch unvollendet, so ist der Erfolg bei der EM doch auch für das Selbstwertgefühl wichtig, muss sich auch der Staatspräsident Giorgio Napolitano gedacht haben: Bereits vor dem Finale lud er die Azzurri zum Empfang in seinen Quirinalspalast ein.

Das sah noch während des Public Viewing in tropischer römischer Hitze weit weniger versöhnlich aus: Frustrierte Anhänger warfen auf dem Circo Massimo Nebelkerzen, Knallkörper und andere Gegenstände gegen den Großbildschirm, der vor dem Abpfiff abgeschaltet werden musste. Die Hoffnung, nach 44 Jahren wieder EM-Gewinner zu sein, wich mit jedem spanischen Tor mehr der ganz großen Enttäuschung.

Dabei hatten sie die Nationalhymne noch gemeinsam mit Torhüter Gianluigi Buffon inbrünstig mitgesungen. Doch die Tröten und Trompeten blieben dann auffallend ruhig, in der Hitze erwischte die Fans viermal die kalte Dusche. Nur Gruppen spanischer Studenten hatten auf dem Circo Massimo etwas zu feiern. Für Hunderttausende Italiener war es ein Katzenjammer: „Wir verlieren gegen die stärkste Mannschaft der Welt“, meinte der RAI-Kommentator verzweifelt ehrlich.

Auch auf den Insel wie Capri, in Gefängnissen und den Zeltstädten der im Mai von Erdbeben betroffenen Menschen in der Emilia standen Bildschirme. Die Franziskanermönche im umbrischen Assisi verfolgten das Match in Höchstspannung - gemeinsam mit zwei spanischen Brüdern. Auf dem neuesten Stand waren italienische Fußballfans auch über den Wolken: In Realzeit informierte sie Alitalia auf abendlichen Flügen, wie sich die Squadra Azzurra auf dem Rasen von Kiew geschlagen gab.