Hochbegabte Belgier unter Druck: „Wilmots schießt zurück“
Bordeaux (dpa) - Marc Wilmots hat keine gute Laune. Die anschwellende Kritik hat den Trainer der Belgier offensichtlich schwer getroffen. Der ehemalige Schalker Bundesliga-Profi wirkte in den Tagen vor dem Irland-Spiel am Samstag in Bordeaux (15.00 Uhr) ungewohnt dünnhäutig.
Kein Wunder: Sein Team von Hochbegabten steht bei der Fußball-EM schon früh unter Druck. „Es geht nicht um Leben oder Tod“, betonte Wilmots am Freitag. „Meine Spieler spielen alle bei Top-Clubs, sie sind Druck gewöhnt. Wir können damit umgehen.“
Immer häufiger wird die Frage gestellt, ob der Trainer gut genug ist für das Starensemble um Kevin De Bruyne und Eden Hazard. Die französische Fachzeitung „L’Équipe“ titelte diese Woche: „Wilmots, allein gegen (fast) alle“. Sie fasste die geballte Kritik zusammen und berichtete zudem von einer Art Privatfehde mit einer flämischen Zeitung. „Ich habe keine Probleme mit der Presse, aber mit einer Tageszeitung, die gleiche, die mich seit vier Jahren angreift“, wurde Wilmots in der „L’Équipe“ zitiert.
Das Problem ist aus seiner Sicht, dass er dem Blatt keine Exklusiv-Informationen gebe. „Das ist mir egal. Ich verfolge meinen Weg und gebe meine Informationen zur gleichen Zeit an alle.“
Aber Wilmots hat auch noch andere Feinde ausgemacht. „Die ausländischen Medien haben uns vier Jahre bewundert, und soweit ich mich erinnere, war ich die ganze Zeit Trainer. Und nun, nach einem Spiel, soll alles schlecht sein?“, fragte Wilmots. „Das ist mir zu einfach.“ Er verwies auch darauf, dass er von 47 Länderspielen nur fünf verloren habe. Das in Ostbelgien erscheinende „Grenzecho“ schrieb über die Stimmung des Coaches: „Wilmots schießt zurück.“
Der 47-Jährige dirigiert ein Team von außergewöhnlichem Talent, das zwischenzeitlich die Nummer eins der FIFA-Rangliste war. Sogar Joachim Löw sprach von einem Favoriten und sparte sich den Zusatz „Geheim“. Umso größer war die Enttäuschung nach der Italien-Niederlage, die taktische Schwächen offenlegte. Wilmots wurde unter anderem vorgeworfen, er lasse „mit angezogener Handbremse“ spielen und habe der Mannschaft in seiner Amtszeit keinen „Mehrwert“ verschafft. Für Verwunderung sorgte auch das Zitat von Keeper Thibaut Courtois, dass Italien die Belgier „taktisch deklassiert“ habe.
Mit dieser Aussage wurde der Profi vom FC Chelsea konfrontiert, was ihm sichtlich unangenehm war. „Ich war etwas frustriert nach dem Match“, sagte Courtois. Und er sei „etwas missinterpretiert“ worden.
Kapitän Eden Hazard wies die Kritik am Trainer zurück. „Das ist Unsinn. Wir stehen hinter dem Trainer“, versicherte der Chelsea-Star: „Er versucht, uns guten Fußball spielen zu lassen. Manchmal gelingt uns das nicht. Aber er steht nicht auf dem Platz.“
Die meist bestens informierte „L’Équipe“ sieht noch ein weiteres Problem. Sie schreibt, dass es auch innerhalb des belgischen Verbandes bei einigen Funktionären Vorbehalte gegen Wilmots gebe. Es ist wohl kein Zufall, dass der Chefcoach in dieser Woche damit kokettierte, dass er eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag habe.
Kritik gab es nicht nur an Wilmots, sondern auch an De Bryune, dem teuersten Spieler, den die Bundesliga je hervorgebracht hat. „Ein schlechtes Spiel kann jedem Spieler passieren. Und dazu steht Kevin auch“, sagte der Coach: „Aber man muss gleichzeitig auch sehen, dass er insgesamt zwölf Kilometer gelaufen ist.“
Gegen Irland braucht Wilmots einen De Bruyne, der nicht nur viel läuft, sondern auch eine Steigerung fast aller anderen Spieler. Sie sollen spielen, „als ginge es um Leben und Tod“, sagte der Trainer, den sie früher in Gelsenkirchen voller Bewunderung „Kampfschwein“ genannt haben, dieser Tage. Das korrigierte er dann aber doch bei der Pressekonferenz am Freitag in Bordeaux.