Italien jubelt, England hadert: Elfer-Drama folgt Hit
Kiew (dpa) - Euphorie in Italien, Entsetzen in England: Das Elfmeter-Drama von Kiew hat beim deutschen Halbfinal-Gegner längst verblasste Erinnerungen an den WM-Triumph 2006 geweckt. Die Engländer hadern derweil mal wieder mit ihrem Elfmeter-Schicksal.
„Italia go!“ forderte die „Gazzetta dello Sport“ auf ihrer Titelseite und feierte die Mannschaft von Cesare Prandelli nach ihrem 4:2 nach Elfmeterschießen im EM-Viertelfinale als „schönste italienische Nationalelf seit der WM in Deutschland“.
„Sie haben mich an Berlin 2006 erinnert - was für eine grandissima emozione!“, sagte Staatspräsident Giorgio Napolitano, als er seine Helden unmittelbar nach dem Sieg gegen England noch in der Kabine anrief. Am Donnerstag kommt es wieder zum Klassiker gegen Deutschland, und auch das ist aus italienischer Sicht eine der vielen Parallelen, die an den WM-Gewinn vor sechs Jahren erinnern. Damals gewann Italien im Halbfinale mit 2:0 nach Verlängerung.
Der emotionale Abend von Kiew hat genau bestätigt, was Bundestrainer Joachim Löw und sein Stab schon immer vermutet hatten: Angstgegner Italien (schon 14 Siege und nur 7 Niederlagen gegen Deutschland) wird ein weitaus unangenehmerer Gegner sein, als es die biederen Engländer jemals hätten werden können. „Ich bin sicher, dass wir Deutschland mit einigen taktischen Ideen in Schwierigkeiten bringen können“, kündigte Trainer Cesare Prandelli am Montag bereits im Casa Azzuri an. „Auch große Mannschaften wie Deutschland haben Schwachstellen“, betonte der 54-Jährige, den die italienischen Reporter in Krakau mit Applaus empfingen.
„Wir haben einen starken Teamspirit. Wenn wir heute ausgeschieden wären, wäre das eine Schande gewesen“, sagte Daniele De Rossi. Der wichtigste Spieler der Italiener ist genau wie bei der WM 2006 Andrea Pirlo. Das bewies der große Stratege auch gegen England mit einer Weltklasse-Leistung. Er spiele „wie Beethoven und Mozart“, sagte der frühere Weltmeister Christian Karembeu aus Frankreich, als er Pirlo zum „Spieler des Spiels“ kürte.
Der 33-Jährige bestätigte das vor allem, als er den Ball beim Elfmeterschießen wie einst der Tscheche Panenka bei der Euro 1976 gegen Deutschland lässig und cool in die Mitte des Tores löffelte. „Ich sah, dass Hart richtig angespannt war. Den Elfer so zu schießen war leichter. Das hat den Keeper unter Druck gesetzt“, sagte Pirlo. „Genial“, lobte der beeindruckte Prandelli.
Während um ihn herum alle ausgelassen jubelten und feierten, blieb der Regisseur von Juventus Turin gewohnt ruhig und in sich gekehrt und blickte bereits sehr schnell wieder nach vorn. „Deutschland wird ein schweres Spiel“, sagte er. „Sie sind ohne Probleme ins Halbfinale durchmarschiert. Aber das ist immer noch ein Halbfinale. Und wir sind auch noch da.“
Auch gegen Deutschland versprach Prandelli wieder „mutigen Angriffsfußball“. Er werde jetzt erstmal schauen, wer fit genug für das Halbfinale sei. Die zwei Tage längere Pause sei sicher ein großer Vorteil für die DFB-Elf.
In der Nachbarschaft der Italiener in Krakau mussten die Engländer am Montag ihre Koffer packen - auch weil sie niemanden wie Pirlo haben. Vor allem aber scheiterte das Mutterland des Fußballs mal wieder an seiner altbekannten Schwäche vom Elfmeterpunkt. England habe ein „Penalty-Trauma“, stöhnte Trainer Roy Hodgson nach der sechsten Pleite im siebten Shootout bei einem großen Turnier. Nur im Viertelfinale ihrer Heim-EM 1996 hatten sich die „Three Lions“ einmal in einem Elfmeterschießen gegen Spanien durchgesetzt.
Der „Daily Telegraph“ witterte am Montag ein „Spiel mit dem Teufel“. Hodgson aber zeigte selbst nach dieser bitteren Niederlage Größe und erklärte ganz nüchtern: „Du kannst diese spezielle Atmosphäre und nervliche Anspannung im Training nicht simulieren. Sehen Sie die coole, abgeklärte Art, mit der Pirlo den Ball ins Tor gechipt hat. Das kann man nicht trainieren. Wir sind bei diesem Turnier in der regulären Spielzeit ungeschlagen geblieben und fahren jetzt nach Hause, weil wir wie so häufig ein Elfmeterschießen verloren haben. Das ist sehr enttäuschend.“
Nach dem erneuten Scheitern seiner Mannschaft bei einem großen Turnier will sich Hodgson nun ausgerechnet den Erzrivalen Deutschland zum Vorbild nehmen. „Schauen Sie, wo das deutsche Team 2006 stand. Sie hatten ein junges Team, das nicht jeder kannte, sie hatten einen neuen Trainer und sie hatten noch einige erfahrene Spieler“, sagte der 64-Jährige. „Jeder hat gesehen, was sich daraus entwickelt hat. Daran müssen wir uns orientieren.“