Joachim Löw: „Die Zeit war reif, etwas zu verändern“
Danzig (dpa) - Fragen an Bundestrainer Joachim Löw nach dem Einzug der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ins EM-Halbfinale:
Was sagen Sie zur Vorstellung gegen Griechenland?
Löw: „Ich finde es eine tolle Leistung der Mannschaft. Wir sind zum vierten Mal hintereinander bei einem großen Turnier im Halbfinale - 2006, 2008, 2010, 2012. Das hätte nach der EM 2004 keiner gedacht. Das ist eine hervorragende Leistung. Wir haben 15 Pflichtspiele hintereinander gewonnen. Wir haben die jüngste Mannschaft beim Turnier mit großen Perspektiven, von daher ein großes Kompliment an die Mannschaft für das, was sie geleistet hat.“
Und was sagen Sie konkret zum Spiel?
Löw: „Keine Frage, dass wir der klar verdiente Sieger sind. Griechenland hat aus einer Chance zwei Tore gemacht. Wir haben nur versäumt, schon am Anfang aus ein paar guten Möglichkeiten das eine oder andere Tor zu erzielen. Unsere Spielanlage war sehr, sehr gut. Nach dem Gegentor sind wir nicht großartig in Hektik verfallen. Wir konnten nachlegen. Letztendlich haben wir die Griechen mit vielem, was wir gemacht haben, schlichtweg überfordert.“
Wie bewerten Sie die Leistung von Sami Khedira, nicht nur in diesem Spiel, sondern im gesamten Turnier?
Löw: „Sehr gut, sehr dynamisch, sehr präsent. Er ist eine wirkliche Führungspersönlichkeit geworden in den letzten Monaten. 2010 hat er schon eine wichtige Rolle eingenommen, aber er ist jetzt auch der Mittelfeldspieler, der permanent seine Position verlässt, nach vorne geht, Druck macht, im Sechzehner auftaucht, aber auch die Position hinten wieder hält. Es ist schwer, gegen ihn einen Zweikampf zu bestehen. Er hat einfach gute Führungsqualitäten, eine positive Ausstrahlung. Es ist gut für die anderen, die um ihn herum spielen, dass er da ist.“
War das nun die von Ihnen vorhergesagte „Explosion“ von Mesut Özil?
Löw: „Er ist zum 'Man of the match' gewählt worden, völlig zurecht. Bei allen unseren Angriffen war Mesut dabei, war immer im Spiel, war anspielbar, war viel in Bewegung. Es lief fast alles über ihn.“
Wann ist der Plan entstanden, drei neue Offensivspieler zu bringen und wie gut ist er aufgegangen?
Löw: „Der Plan war mir schon länger im Kopf herumgegeistert. Heute war der Tag der Veränderung. Obwohl ich keineswegs unzufrieden war mit den Spielern in den ersten drei Spielen. Ich wusste, im vorderen Bereich müssen wir unberechenbar sein. Ich musste frischen Wind bringen, andere Spielertypen, die die Laufwege machen aus dem Mittelfeld in die Tiefe. Es ist gut aufgegangen. Marco Reus hat sehr gut gespielt, André Schürrle ebenso. Miroslav Klose macht ein Tor wie Reus. Das war irgendwie auch der Schlüssel zum Sieg.“
Welchen Halbfinalgegner wünschen Sie sich?
Löw: „Da lasse ich mich überraschen. Beide Mannschaften sind gut. England ist viel besser als 2010, viel besser organisiert unter Roy Hodgson. Sie stehen hervorragend defensiv und kontern schnell. Bei Italien ist es ähnlich. Sie stehen hinten gut, können gut spielen, können unheimlich organisiert sein und haben vorne brandgefährliche und schnelle Spieler. Beide Mannschaften sind sehr unangenehm. Alle Mannschaften, die ins Halbfinale kommen, sind Titelanwärter. Da entscheiden Kleinigkeiten, da darf man sich keine groben Schnitzer leisten.“
War der Verzicht auf alle drei Torschützen der Vorrunde die mutigste Entscheidung Ihrer Karriere?
Löw: „Nein, sonst hätte ich es nicht gemacht. Risikofreudigkeit ist immer ganz gut. Es hat mir auch wehgetan, weil Mario Gomez drei Tore gemacht hat und an einem vierten beteiligt war. Das ist eine großartige Leistung. Lukas Podolski hat gegen Dänemark das wichtige 1:0 erzielt und hat vorher taktisch super gearbeitet gegen Portugal und die Niederlande. Aber irgendwie war die Zeit reif, etwas zu verändern. Manchmal spürt man das. Ich wollte unberechenbar bleiben für die Griechen. Das ist aufgegangen mit diesen Spielern.“
Die Personalwechsel waren schon mittags bekanntgeworden. War das in Ihrem Sinn?
Löw: „Ich kann mir das auch nicht genau erklären, woher das kommt. Spieler reden vielleicht mit ihren Beratern und irgendwo gibt das jemand weiter. Das ist nicht in meinem Sinne, wenn das passiert. Es müssen nicht schon frühzeitig die Karten auf dem Tisch liegen. Aber okay, es ist nicht nachzuvollziehen, wie das passiert ist.“
Werden Sie das mit der Mannschaft thematisieren oder haben Sie das womöglich schon getan?
Löw: „Das habe ich schon thematisiert. Klar, dass die Spieler mit ihren Beratern, Freunden oder wem auch immer mittags telefonieren, sei es aus Freude, dass sie spielen, sei es aus Enttäuschung. Von den Spielern kommt es auf jeden Fall nicht, diese Rückversicherung habe ich. Es sind andere Kanäle, wo es durchsickert. Aber letztendlich wird man das auch nicht herausfinden.“