„La Ola“ in der Philharmonie: Orchester begleitet EM-Spiel
Paris (dpa) - Als die Spanier zu ihrem ersten Tor ansetzen, stimmt die Band den Tina-Turner-Hit „Simply the Best“ an. Der Pop-Rhythmus scheint der Passkombination im kroatischen Strafraum noch zusätzliche Kraft zu verleihen, bevor der Refrain den Jubel von Torjäger Alvaro Morato untermalt.
Der starke Spielauftakt in der 7. Minute ist zugleich die erste Bewährungsprobe bei einem ungewöhnlichen Experiment in der Pariser Philharmonie: Können ein Orchester und eine Band den gewohnten TV-Kommentar bei einem EM-Spiel mit Musik ersetzen?
Über die eineinhalb Stunden des Gruppenspiels Spanien gegen Kroatien ertönt statt Fußball-Fachgesimpel Brahms, Mendelssohn und Bartók. Die Musik werde anhand des Spielverlaufs ausgewählt, erklärt Dirigent Xavier Delette. Das Spiel selbst wurde auf eine große Leinwand über den Musikern gezeigt. Die Organisatoren sprachen vom „ersten Match-Konzert in der Geschichte des Fußballs“.
Der musikalische Kommentar war dabei keine reine Improvisation. 52 Musikstücke für verschiedene Situationen hatten die Musiker vorbereitet. Per Kopfhörer bekam der Dirigent Hinweise auf den Spielverlauf, der mit leichter Verzögerung gezeigt wurde. Er zeigte den Nachwuchsmusikern - Schüler eines Pariser Konservatoriums im Alter von 15 bis 25 Jahren - mit vorab vereinbarten Handzeichen das nächste Stück an. Bei schnellen Phasen ertönte etwa Felix Mendelssohns Ouvertüre „Ruy Blas“, bei langsameren Spielphasen zum Beispiel eins der Lieder von Richard Strauss.
Vor allem in dramatischen Szenen wie Freistößen, Ecken oder Toren griff eine Pop-Band mit fünf Musikern und einer Sängerin ein. Sie könne schneller reagieren, erläuterte Dirigent Delette, der Leiter des Conservatoire à Rayonnement Régional. Immer wieder mit Gespür für Ironie: Dass nach einem Foul und der Gelben Karte für den Kroaten Marko Rog in der 29. Minute „All you need is love“ von den Beatles gespielt wird, sorgt prompt für Lacher.
Oder als bei einer Auswechslung die Fußball-Hymne „You'll never walk alone“ erklingt. Die Auftaktmusik beim Einlauf vor den Nationalhymnen war die Titelmelodie der für ihre blutrünstigen Konflikte bekannten Fernsehserie „Game of Thrones“.
Auf dem Parkett des Konzertsaals waren die Stuhlreihen entfernt worden, Menschen saßen auf dem Boden. „Wir wollen Match-Atmosphäre“, hatte Delette vorher gesagt. Und tatsächlich wurde am Dienstagabend gejubelt und geschrien (wenn auch etwas verhaltener als im Stadion). Und sogar eine La-Ola-Welle ging über die Ränge des erst im vergangenen Jahr eröffneten Philharmonie-Gebäudes von Stararchitekt Jean Nouvel im Pariser Nordosten. Der 2:1-Siegtreffer des Kroaten Ivan Perisic wurde mit „Happy“ von Pharrell Williams untermalt, am Ende erklang natürlich der Queen-Klassiker „We are the Champions“.
„Das ist etwas Einmaliges“, sagte Zuschauer Benjamin, der sich als „absoluter Fußball-Fan“ vorstellte. Aus Sicht des 33-Jährigen eigneten sich die klassischen Musikstücke besser zur Untermalung als die Pop-Songs: „Weil sie eine Dramaturgie haben.“ Die Musiker hätten sich gut geschlagen, meint er. Manchmal sei die Musik aber noch etwas langsam, wenn das Tempo des Fußballspiels sich bereits beschleunige - wobei Spanien wegen seiner schnellen Tempowechsel ein schweres Team für so einen Versuch sei. Ein Junge war etwas skeptischer: „Ja, das hat mir gefallen“, sagte er. „Aber mit Kommentar sind die Spiele ein bisschen besser.“