Löw glaubt an „Winner-Typ“ Müller
Bordeaux (dpa) - Mit Schmackes haute Thomas Müller dem machtlosen Aushilfstorwart Lukas Podolski die Bälle um die Ohren. Im einsehbaren Teil des Abschlusstrainings für den EM-Viertelfinalkracher gegen Italien gab es Erfreuliches vom Bayern-Angreifer zu sehen.
Es müllert beim Fußball-Weltmeister - zumindest wenn „Poldi“ im Tor steht. Am Samstagabend in Bordeaux (21.00 Uhr) dagegen wird es wichtig sein, dass Müller gegen Angstgegner Italien wieder zum Buffon-Schrecken wird.
Die Fans in Deutschland warten sehnsüchtig auf Müllers EM-Moment, auf das erste Tor des WM-„Bombers“ in Frankreich. Vielleicht sollte Joachim Löw seinem Angreifer vor dem Anpfiff noch mal zwei Szenen aus den Champions-League-Spielen des FC Bayern gegen Juventus Turin vorspielen. Da traf Müller sowohl beim 2:2 im Hinspiel als auch bei der entscheidenden zweiten Partie in München. Sein Kopfball zum 2:2 in der Nachspielzeit rettete die Bayern im Achtelfinale in die Verlängerung, in der sie noch mit 4:2 gewannen. Seitdem gilt: Müller, der Juve-Schreck, Müller der Schrecken von Gianluigi Buffon, der Torwartlegende der Squadra Azzurra.
Müller kennt die Mechanismen des Profigeschäfts. Er weiß, dass die Minutenzählerei längst im Gange ist, dass gerätselt und spekuliert wird, was mit ihm los ist. „Der, der ein Tor schießt, ist der Gute, sonst eben nicht. Man würde sich manchmal mehr Objektivität wünschen“, äußerte der 26-Jährige über diese Schwarz-Weiß-Malerei.
Es ist nicht so, dass Müller außer Form wäre oder nicht fit. Nein, Müller rackert. Müller rennt. Müller treibt an. Müller schießt. Müller köpft. Müller versucht alles auf dem Platz. Der zweifache Turnierschütze Mario Gomez lobte den Kollegen: „Thomas redet extrem viel auf dem Platz. Er ist unheimlich wertvoll für die Mannschaft, auch wenn er im Moment noch ein bisschen Pech im Abschluss hat.“
Müller, der Raumdeuter, der mit seinen unergründlichen Laufwegen für sich und seine Mitspieler Räume öffnen kann wie kein anderer, hat eben dieses eine Problem: Er wartet in Frankreich seit 360 Minuten auf ein Tor. Addiert man jene 305 Minuten hinzu, die Müller 2012 beim Championat in Polen und der Ukraine torlos unterwegs war, dann sind es inzwischen 665 Minuten, die der zehnfache WM-Torschütze auf seinen EM-Premierentreffer wartet. Kaum zu glauben, aber wahr!
„Ich bin mit meinem - und vor allem mit dem Turnier der Mannschaft - bisher zufriedener, als ihr vielleicht denkt“, entgegnete Müller den Reportern. Er möchte sich partout nicht auf die Torquote reduzieren lassen. Immerhin 32 Mal hat er in 75 Länderspielen getroffen. „Es geht mir darum, dass die Mannschaft ihre Top-Performance auf den Platz bringt. Dazu versuche ich meinen Beitrag zu leisten.“
Joachim Löw zweifelt nicht an seiner Nummer 13. „Thomas Müller ist ein Spieler, der reflektiert, der sich Gedanken macht. Er ist ein Winner-Typ. Er will immer gewinnen, ob er Tischtennis spielt, Golf spielt oder Basketball spielt. Seit 2010 ist es in seiner Karriere ständig bergauf gegangen. Er hat ein unheimlich hohes Niveau. Jetzt hat er vielleicht mal eine Phase ohne Tor. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich mit ihm trotzdem maximal zufrieden bin“, berichtete Löw.
Der Weltmeistercoach schätzt Müllers Teamworker-Qualitäten. „Er macht Wege, die den Gegner immer wieder in Schwierigkeiten bringen und verwirren. Das macht ihn wertvoll. Und es macht ihn wertvoll, dass er manchmal beim Eckball des Gegners den Ball aus dem Sechzehner köpft. Er arbeitet unheimlich viel für die Defensive, läuft den Gegner mit einem unglaublichen Tempo an“, schwärmte Löw: „Und er hat gegen die Slowakei die beste Laufleistung aller unserer Spieler gehabt.“
Löw erlebte in der Vorbereitung auf Angstgegner Italien keinen verunsicherten Müller. „Er kann mit diesen Dingen umgehen“, sagte der Bundestrainer: „Und bei ihm gibt es eine Kernaussage: Das Allerwichtigste ist, dass die Mannschaft erfolgreich ist. Wer trifft, ist egal. Das sagt Thomas Müller, das zeigt seine Charakterstärke.“
Teammanager Oliver Bierhoff weiß als ehemaliger Torjäger um die Torlos-Phasen in einem Stürmerleben. „Um Thomas Müller mache ich mir gar keine Sorgen“, versicherte Bierhoff. Müller sei nicht bekümmert, sondern habe weiterhin eine positive Ausstrahlung. „Er definiert seine Rolle nicht allein über das Toreschießen. Natürlich ist er ehrgeizig, und es wurmt ihn, wenn er die eine oder andere Chance nicht nutzt. Aber man hatte in den bisherigen Spielen nie das Gefühl, dass er eine Sekunde lang zurücksteckt, dass er den Kopf hängen lässt. Man spürt vielmehr, es ist ihm vollkommen egal, ob er hier eins, zwei oder fünf Tore schießt. Er will dieses Turnier gewinnen.“ Für Bierhoff stellt sich allein die Frage, ob bei Müller schon gegen Italien „der Knoten platzt“. Es wäre gut für ihn - und Deutschland.