#Euro2016 Einer wie früher Bernd Schuster

Die Kritik überschlägt sich vor Begeisterung. Toni Kroos von Real Madrid scheint das kaum zu interessieren.

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Evian. Es ist wie immer. Irgendwann wird Toni Kroos zu einem in Spanien kolportierten bevorstehenden Wechsel gefragt. Überraschenderweise zu Manchester City in die Premier League. Und wie seine Zukunft aussieht? Toni Kroos lacht und sagt: „Grundsätzlich mache ich mir immer Gedanken über meine Zukunft. Aber ich bin Spieler von Real Madrid und habe dort einen Vertrag über vier Jahre. Zuletzt habe ich gelesen, dass ich zum FC Bayern zurückgehe.“ Eine typische Reaktion von Kroos. Unaufgeregt.

Nächste Frage. „Haben Sie eigentlich ein Italien-Trauma?“ Kroos schaut amüsiert und sagt: „Warum sollte ich ein Italien-Trauma haben? Das müssten Sie mir erst einmal erklären, bevor ich es dementiere.“ Noch ein Satz aus der Baureihe Kroos. Durch fast nichts aus der Ruhe zu bringen. Auch vor dem Viertelfinale gegen Italien in Bordeaux am Samstag (21.00 Uhr/ARD) nicht. Mehr Worte als unbedingt nötig macht er ohnehin nie. „Und extrem aufgeregt bin ich eigentlich nie vor einem Spiel.“

Der Mann von Real Madrid ist bei der Europameisterschaft in Frankreich der wichtigste Akteur von Bundestrainer Joachim Löw. Kroos ist einer, von dem man nie annehmen muss, dass er auf dem Spielfeld etwas tut, was ohne Sinn ist. Kroos inszeniert Spiele, er gestaltet sie. Manager Oliver Bierhoff spricht in Evian vor dem Spiel gegen Italien vom „größten Prüfstein, der größten Aufgabe“, Kroos sagt: „Ende März haben wir in München gegen Italien 4:1 gewonnen, ich glaube nicht, dass sich die italienische Aufstellung von Bordeaux sehr von der in München unterscheiden wird, das Spiel ganz sicher, es ist ein Viertelfinale.“

Dass Sami Khedira die Italiener am besten kennt als Juve-Profi, das „wird sicher in die Vorbereitung einfließen“, meint Kroos. „Das eine oder andere wird wichtig sein. Italien wird das schwerste Spiel bisher, aber wenn wir es gewinnen, wartet danach immer noch eine Menge Arbeit.“ Und dass die Spanier mit 0:2 gegen Italien verloren haben und damit eine Ära beendet sei, Kroos will das nicht zu hoch hängen: „Das Spiel hat mich überrascht, aber mir steht es nicht zu, zu beurteilen, ob damit eine Ära beendet ist.“

Gegen die Ukraine führte er Regie, die Kritiker überschlugen sich schon nach dem ersten deutschen Spiel in Frankreich vor Begeisterung. Kroos misst solchen Dingen keine große Bedeutung zu, er überzeugte auch gegen Polen, gegen Nordirland und gegen die Slowakei. „Wir haben das ganz ordentlich gemacht, aber wir wollen Europameister werden. Das Spiel gegen Italien sollte man gewinnen“, sagt Kroos, der natürlich weiß, dass ein Spiel gegen Italien keines ist wie andere, aber Kroos macht nicht viele Worte, Kroos macht. Die Vergangenheit interessiert dabei nicht.

Nationalspieler gelten als permanent überbelastet, die hohe Anzahl der Spiele in Club und Nationalmannschaft, 60 Begegnungen pro Saison, wer ist da nicht einmal müde? Bei Kroos ist das anders. Die deutsche Mannschaft führte im Achtelfinale in Lille, da rief Joachim Löw seinen wichtigsten Mann zu sich. Der Bundestrainer sprach kurz mit Kroos, eine taktische Anweisung? „Nein“, sagte Löw, „nach dem 3:0 war das Spiel entschieden, da habe ich ihn gefragt, wie es mit der Kraft aussieht.“ Kein Problem, Kroos spielte wieder 90 Minuten durch, zum vierten Mal bei dieser Europameisterschaft. Nach einer aufreibenden Saison, in der am Ende der Titel in der Champions League mit Real Madrid stand.

Toni Kroos ist 26 Jahre alt, Weltmeister in Brasilien und spielt in Frankreich auf höchstem Niveau, faszinierend, nahezu ohne Fehler. 92,3 Prozent seiner Pässe bringt er zum Mitspieler. Toni Kroos ist nicht nur eine spielbestimmende und spielentscheidende Figur zwei Jahre nach dem Titel von Rio de Janeiro, er ist endgültig auf dem Weg zum nächsten deutschen Weltstar. In Spanien ist man sich einig: Der letzte Blonde in Weiß, der so gespielt hat, war Bernd Schuster.

Kroos ist ein ernster Mensch, aber lachen kann er auch. Oft wirkt Kroos in sich gekehrt, mit sich selbst beschäftigt, Kroos wirkt gelegentlich arrogant, dabei ist er eher zurückhaltend, nachdenklich. Und er ist nicht besonders gut darin, seinen Frust zu verbergen, deshalb versucht er das auch gar nicht. Bastian Schweinsteiger und Kroos pflegen ein besonderes Verhältnis, Freunde sind sie nicht. Schweinsteiger soll fit sein und von Beginn an spielen können, sagt Oliver Bierhoff. Kroos sagt: „Egal, ob Bastian Schweinsteiger spielt oder nicht, ich bin auf jeden Fall immer in der Mitte zu finden.“ Im Kraftzentrum des Spiels, wo er hingehört. Unabhängig von anderen: „Ich freue mich, wenn ich andere in Szene setzen kann.“ Das ist der Unterschied.