Löw muss EM-Risiken abwägen
Ascona (dpa) - Joachim Löw zieht seinen „Schweizer Plan“ durch. Unbeeindruckt von der Ungewissheit um die Führungsspieler Mats Hummels und Bastian Schweinsteiger sowie neuem Wirbel um Mario Götze konzentriert sich der Bundestrainer ganz auf die Detailarbeit für eine erfolgreiche EM.
Am zweiten Tag des Trainingslagers im Tessin stellte der Chefcoach beim 7:0 in einem geheimen Trainingsspiel gegen die U20-Junioren einige zuletzt verletzte Spieler sowie seine vier Länderspielneulinge auf den Prüfstand. „Mit elf Spielern wird man ein Turnier nicht gewinnen können. Wir haben in unserer Auswahl schon Spieler dabei, die jederzeit einsetzbar sind“, sagte Löw zum EM-Auswahlverfahren. Vier Mann muss er schon am Dienstag nach Hause schicken.
Nach den schlechten Nachrichten um Hummels (Muskelfaserriss) und den ebenfalls noch angeschlagenen Marco Reus (Adduktorenprobleme) durfte sich der Bundestrainer am Donnerstag über positive Entwicklungen freuen. Der erfahrene Sami Khedira, eine wichtige Größe in Löws Plänen für die am 10. Juni beginnende EM-Endrunde in Frankreich, ist zurück im Teamtraining. Bei der Wettkampfsimulation gegen die U20-Talente des DFB war auch der weitgehend von einem Rippenbruch genesene Offensivspieler Götze wieder dabei und trug sich gleich in die Torschützenliste ein.
Die von Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge neu angefachte Diskussion um die Zukunft von Götze in München soll indes die EM-Vorbereitung nicht beeinträchtigen. „Mario macht bei uns einen sehr konzentrierten und fokussierten Eindruck“, berichtete Löws Assistent Thomas Schneider. Rummenigge hatte im „Kicker“ dem 23-jährigen Götze trotz dessen Bekenntnis zu seinem Arbeitgeber einen Vereinswechsel in diesem Sommer nahegelegt. „Das muss Mario mit seinen Beratern und Bayern München besprechen, wie es weitergeht“, sagte Schneider. Das spiele für die Arbeit des Nationalteams in der Schweiz keine Rolle.
Die sportliche Leitung muss in den kommenden Tagen vor allem intensiv das Risiko ausloten, das mit einer endgültigen Nominierung von Kapitän Schweinsteiger verbunden wäre. Nach zwei intensiven Trainingseinheiten am ersten Tag setzt der 31-Jährige seinen Aufbau abseits der Trainingseinheiten der Mannschaft im Verborgenen fort.
Innenverteidiger Hummels kann nur medizinisch versorgt werden. Wann der Neu-Münchner das Training aufnehmen kann, ist unklar. „Ich muss bis nächste Woche von Tag zu Tag schauen. Wie verkraften die Spieler das Training? Wann können verletzte Spieler wieder einsteigen?“, nannte Löw die Fragen, auf die er bald klare Antworten erhofft.
Der Weltmeister-Macher muss Alternativpläne entwerfen, in denen auch die erstmals in den A-Kader berufenen Joshua Kimmich (21 Jahre/FC Bayern), Julian Weigl (20/Dortmund) und Julian Brandt (20/Leverkusen) sowie der bereits mit einem Länderspiel belohnte Leroy Sané (20/Schalke) eine Rolle spielen. „Klar ist es ein Riesentraum für uns alle. Wenn man es soweit geschafft hat, will man auch endgültig dabei sein. Jeder gibt im Training Vollgas und möchte zeigen, was er drauf hat“, sagte Kimmich auf dem Pressepodium in Ascona. „Jeder hat die Chance, sich hier zu zeigen“, ergänzte Weigl.
Beim Test gegen die U20 traf der Leverkusener Karim Bellarabi doppelt. Für die weiteren Treffer sorgten Mario Gomez, Leroy Sané, André Schürrle und Julian Draxler. Im Trainingsstadion gewährte Löw bei wieder bestem Sommerwetter Einblicke in seine taktischen Überlegungen. So stellte er Kimmich und Weigl bei einer Übung als Vertreter von Khedira und Emre Can ins zentrale Mittelfeld. „Sie haben eine große Ruhe und Sicherheit am Ball“, lobte Löw.
Am Sonntag in Augsburg könnten beide im Test gegen die Slowakei ihr Länderspieldebüt feiern, auch wenn Kimmich verriet: „Mit Herrn Löw habe ich mich noch nicht unterhalten. Ich werde sehen, wo er mich aufstellt und sieht.“ Brandt war im Training die Zweitbesetzung hinter dem Wolfsburger Julian Draxler auf der linken Außenbahn.
Als Torhüter scheint im vorletzten EM-Test der Leverkusener Bernd Leno zu seinem ersten A-Einsatz zu kommen. „Deshalb sind sie auch eingeladen. Mit dem Gedanken, dass es der eine oder andere schaffen kann“, sagte Löw zu den Neulingen. Und er würde sich auch nicht scheuen, einen neuen Spieler sogar in einem Turnierspiel einzusetzen, „egal, wie alt er ist und welche Erfahrung er hat“.
Als Alternative für den verletzten Hummels ist in Augsburg wohl Benedikt Höwedes vorgesehen. Der Schalker Weltmeister fühlt sich nach überstandener Muskelverletzung im Oberschenkel bereit für die EM-Aufgabe. Bei anderen sieht das reichlich zwei Wochen vor dem ersten Turnierspiel am 12. Juni in Lille gegen die Ukraine noch etwas anders aus.