Löws Kampf im Weltmeister-Rudel - Nun gegen Slowakei
Évian-les-Bains (dpa) - Die Aussicht auf die prickelnden Kraftproben gegen Turnier-Angstgegner Italien, Titelverteidiger Spanien oder Gastgeber Frankreich treibt Joachim Löw das Adrenalin in die Adern.
Nach dem „zähen“ Vorgeplänkel in der Gruppenphase geht das EM-Turnier für den Bundestrainer und seine wieder titelhungrigen Weltmeister mit dem Achtelfinale gegen die Slowakei richtig los. „Ich freue mich auf die K.o.-Runden, das sind für mich die tollen Spiele“, sagte Löw nach dem 1:0 gegen Nordirland, das den anvisierten Gruppensieg einbrachte, aber auch hammerharte Königsetappen auf der Frankreich-Tour.
Löw steckt plötzlich mitten im Weltmeister-Rudel: Alle vier weiteren Weltchampions aus Europa befinden sich auf der Wegstrecke ins Finale am 10. Juli im Stade de France. „Bei der Europameisterschaft ist das so egal, wer kommt. Du musst sowieso gegen alle gewinnen, damit du am Ende den Titel holst“, sagte Mesut Özil, der im letzten Gruppenspiel so aufspielte, wie Löw und die Fußballfans es immer sehen wollen.
Nach der Pflichtaufgabe gegen die Slowaken am Sonntag (18.00 Uhr) in Lille würde Kracher auf Kracher folgen: Im Viertelfinale Spanien oder Italien in Bordeaux, danach vermutlich Frankreich oder England beim Halbfinale in Marseille. „Ab jetzt beginnt ein neues Turnier“, sagte Torjäger Mario Gomez, der sich am Dienstagabend in Paris mit seinem 28. Länderspieltreffer in die EM katapultierte.
Vor der heißen Phase belohnt Löw seine 23 Spieler mit Freizeit bis zum nächsten Training am Freitag. „In der K.o.-Phase entscheiden nun kleinste Fehler darüber, ob wir nach Hause fahren oder in die nächste Runde einziehen. Wir wollen möglichst lange in Frankreich bleiben. Da war uns wichtig, den Spielern noch mal eine Ruhepause und zusätzliche Gelegenheit zur individuellen Regeneration zu geben“, begründete Löw.
„Jetzt brauchen wir jedes Mal unser bestes Spiel“, mahnte Thomas Müller nach dem Chancenwucher in der letzten Vorrundenpartie gegen chancenlose Nordiren. Von 26 Schüssen landete einer von Gomez im Netz. Trotz dieses „Mankos“ (Mats Hummels) blickte der weiter torlose Müller, der Latte und Pfosten getroffen hatte, optimistisch nach vorne. „Die Grundzutaten für einen Erfolg sind da. Die Basis stimmt, auch in großen Spielen erfolgreich zu sein“, sagte der Münchner.
Auch Löw stimmten die spielerischen Fortschritte, die Vielzahl der Großchancen sowie die defensive Stabilität mit drei Partien ohne Gegentor zuversichtlich. Aber die miese Torausbeute erzürnte ihn. „Damit kann man nicht spaßen“, rügte Löw. Die Verschwendung ärgerte den Chefcoach besonders, weil die knappe Führung ihn zwang, selbst den angeschlagenen Abwehrchef Jérôme Boateng lange auf dem Platz lassen zu müssen. „Wir hätten in der Halbzeit 3:0 oder 4:0 führen müssen. Dann hätten wir den einen oder anderen Spieler nach 45 Minuten schonen können“, grantelte Löw.
Der als Führungskraft anerkannte Champions-League-Sieger Toni Kroos analysierte die Situation treffend. „Wir müssen daran arbeiten, dass wir in der K.o.-Phase die Tore machen. Sonst kann es mal eng werden. Einen so harmlosen Gegner wie die Nordiren bekommen wir in diesem Turnier nicht mehr“, sagte der Profi von Real Madrid.
Löw wird den Fokus erst spät auf den Achtelfinalgegner lenken. „Wir wissen schon, was auf uns zukommt“, sagte der Bundestrainer, der bis Mittwochabend warten musste, ehe die Slowakei als Gegner feststand. In der EM-Vorbereitung hatte die deutsche Mannschaft ohne zahlreiche Stammkräfte gegen das Team um Topspieler Marek Hamsik in Augsburg 1:3 verloren. „Bei den Slowaken wissen wir schon, was auf uns zukommt“, sagte Löw. Auch den Drittplatzierten der England-Gruppe werde „sein Heil gegen uns nicht in der Offensive suchen. Aber irgendwann muss der Gegner auch was tun, sonst fährt er nach Hause“, meinte Löw. Mauern allein genüge ab sofort nicht mehr: „Wenn man immer nur zu Null spielen will, kommt man in der K.o.-Runde nicht weiter.“
Weitergebracht hat Löw das Nordirland-Spiel. Seine Speziallösungen Joshua Kimmich als offensiver Rechtsverteidiger und Mario Gomez als echte Neun mit Wucht im Strafraum gingen auf. Eine Turnier-Wunschelf wird es aber auch in den K.o.-Spielen nicht geben. Zwei, drei Positionen könnten je nach Anforderungsprofil des Gegners variieren.
„Gegen Mannschaften, die so defensiv spielen, ist eine andere Lösung gefragt“, begründete Löw etwa die Maßnahme, Bayern-Youngster Kimmich für Benedikt Höwedes zu bringen. Der Schalker bewies bemerkenswerten Teamgeist: „Es war die richtige Entscheidung des Trainers, Joshua Kimmich aufzustellen. Bei solchen Entscheidungen müssen wir alle unser Ego hinten anstellen“, erklärte der erfahrene Höwedes.
Die wichtigste Vorrundenerkenntnis für Spielmacher Özil ist, „dass wir als Einheit funktionieren“. Bastian Schweinsteiger etwa baut Löw so behutsam auf, dass der lange verletzte Kapitän in den ganz großen Duellen mit Italien, Spanien oder Frankreich wieder die Wichtigkeit erlangen könnte wie bei seinem legendären Kampf im WM-Finale 2014.
Die größten Sorgen vor dem Achtelfinale bereitet Abwehrchef Boateng, der sich mit einer neurogenen Verhärtung in der rechten Wade plagt. „Ich glaube, wir haben ihn rechtzeitig vom Feld geholt“, berichtete Löw. Die medizinische Abteilung soll Boateng bis Sonntag wieder fitkriegen. „Ich gehe davon aus, dass er spielen kann“, sagte Löw. Er muss das Risiko aber genau abwägen - gerade mit Blick auf die folgenden Kracher gegen die Topgegner von Italien bis Frankreich.