Gruppe B Nach dem Ausscheiden: Riesiger russischer Scherbenhaufen
Eigentlich müsste auch der russische Fußballverband alles auf Anfang setzen, doch zwei Jahre vor der WM im eigenen Land kommen Reformen für die Nationalmannschaft zu spät.
Toulouse. Nur das grüne Männchen besaß hinterher den Mumm, zur aufgebrauchten Meute zu gehen. Igor Akinfeev, der an diesem bitteren Abend tüchtigste Mann unter lauter Versagern, scheute nach Schlusspfiff nicht zurück, sich der Verantwortung zu stellen. Der 30 Jahre alte Torwart von ZSKA Moskau suchte das Gespräch mit aufgebrachten russischen Anhängern, wohl wissend, dass sich nicht nur friedfertige Genossen nach Frankreich gereist waren.
Gleichwohl sorgte diese Geste für ein bisschen Beruhigung im Stade Municipal in Toulouse, wo am Montagabend ein ähnlicher Tiefpunkt für Russlands Fußball besiegelt wurde wie ihn Deutschlands Volkssport vor 16 Jahren im De Kuip in Rotterdam erlebte.
Damals hatte sich die deutsche Elf von einer B-Mannschaft Portugals eine 0:3-Abreibung verpassen lassen, die dasselbe EM-Vorrundenaus manifestierte, das die Sbornaja nun nach dem 0:3-Desaster gegen das eher zur B-Kategorie zählende Nationalteam von Wales quittierte. Und damals wie heute galt das, was der wackere, aber überforderte Abwehrrecke Wasilij Beresuzki schlussfolgerte: „Wir haben keine besseren Spieler, die besten waren bei der EM dabei.“
Der Routinier, der schon mit seiner unorthodoxen Art verteidigte, als eine veranlagte Generation bei der EM 2008 bis ins Halbfinale stürmte, forderte an seinem nun wahrlich deprimierend verlaufenen 34. Geburtstag unverblümt: "Wir müssen etwas verändern. Wir müssen junge Spieler entwickeln und uns verbessern." Dumm nur: Russlands Fußballverband (RFS) kann nicht einfach das tun, was damals der Deutsche Fußball-Bund (DFB) tat. Grundsätzliche Reformen anzugehen, die auch Sportminister Witali Mutko („Das Spiel der Mannschaft zeigt das echte Niveau unseres Fußballs“) umgehend verlangt.
In Deutschland war es damals bis zur WM im eigenen Lande immerhin noch sechs Jahre hin, in Russland bleiben nur noch 24 Monate. Da sind mehr als kosmetische Korrekturen kaum möglich. Mutko will den Liga-Betrieb und neue Spieler fördern, aber vermutlich wird der Topfunktionär zuerst das tun, was die damalige DFB-Spitze tat: sich vom Trainer zu trennen. Genau wie einst Erich Ribbeck ist auch Leonid Sluzki nicht mehr haltbar, zumal der 45-Jährige alle Schuld auf sich ablud. „Ich möchte mich bei den Fans entschuldigen. Ich übernehme die volle Verantwortung. Ich habe es nicht geschafft, die Spieler in die entsprechende Verfassung zu bringen.“ Als ob der Imageschaden durch russische Randalierer nicht genug wäre, gab sich diese russische Riege der Lächerlichkeit preis. Der Scherbenhaufen ist riesig.
Offenbar steht auch der Gemeinsinn in dieser Mannschaft nicht sonderlich hoch im Kurs, sonst wäre die Kapitänsbinde nach der Auswechslung des indisponierten Roman Shirokov nicht wie eine heiße Kartoffel behandelt worden. Ehe sich Tormann Akinfeev das Stück über den Arm krempelte. Sluzki forderte im Grunde seine Vorgesetzten auf, ihn rasch hinauszuwerfen. „Es braucht einen anderen. Wenn wir es nicht geschafft haben, dann heißt das, dass der Trainer seine Aufgaben nicht erfüllt hat.“
Ob der WM-Ausrichter 2018 auch eingedenk der (sport)politischen Großwetterlage noch einmal auf einen namhaften Trainer aus dem westlichen Ausland wie einst Dick Advocaat, Guus Hiddink oder Fabio Capello zurückgreift, erscheint unwahrscheinlich. Im eigenen Land hatte der beim Armeeklub ZSKA zu gewisser Wertschätzung gelangte Sluzki eigentlich als derjenige gegolten, der es am besten richten könnte. Fest steht bei der Nachfolgersuche nur: Den Blick bis in die USA zu richten, um in höchster Not einen Reformer wie Jürgen Klinsmann auszugraben, wird in Russland eher nicht infrage kommen.