Durch die Ziegelwand Nordirland will mit Torjäger Lafferty in der deutschen Gruppe weiterkommen
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Lyon. Die Jungs ganz vorne wiehern fröhlich. Von Teamkollegen werden sie an Zügeln gehalten. Die nordirischen Nationalspieler haben Spaß im Training, erst recht, wenn sie wie übermütige Pferde über den saftiggrünen Trainingsrasen im kleinen Stadion von Saint-Georges-de-Reneins galoppieren.
Am Sonntag ab 18 Uhr wird es ernst. Dann steht in Nizza das erste EM-Spiel auf dem Programm, das Duell mit Polen. Drei Stunden später sind in Lille die beiden anderen Teams der Gruppe dran, Deutschland und die Ukraine. Erst im letzten Gruppenspiel am 21. Juni wird Nordirland auf den Weltmeister treffen, auf die DFB-Elf.
Wie intensiv Trainer Michael O'Neill seine Spieler auf den EM-Start vorbereitet, konnte man gestern im Trainingscamp miterleben. Um 11 Uhr begann die Übungseinheit in Saint-Georges-de-Reneins, für 12.30 Uhr war eine Pressekonferenz angesetzt. Kurz davor stellte sich der Teamsprecher vor die Journalistenschar im zum Medienzentrum umfunktionierten Espace Culturel des Örtchens. “Guys, es dauert eine halbe Stunde länger.“ Um 13 Uhr stand er wieder da. “Folks, noch eine halbe Stunde. Die Jungs sind immer noch auf dem Platz.“
Die das Team begleitenden nordirischen Reporter murrten nicht. Sie verlassen sich darauf, dass Michael O'Neill das Richtige tut. Er ist der Vater des Erfolgs. Seit Anfang 2012 ist der Trainer im Amt, anfangs ging viel schief. In der Qualifikationsrunde für die Weltmeisterschaft in Brasilien kamen die Nordiren nach zehn Spielen nur auf kümmerliche sieben Punkte. Der Tiefpunkt war eine Niederlage in Luxemburg. Aber dann passierte das gänzlich Unerwartete. Die EM-Qualifikation wurde zu einem nordirischen Fußballmärchen mit Happy End. Sogar der Gruppensieg vor Rumänien konnte bejubelt werden. Erstmals ist die “Green and White Army“, wie die Fans aus Nordirland genannt werden, bei einer Europameisterschafts-Endrunde dabei. Es ist der größte Triumph nach den WM-Teilnahmen 1958, 1982 und 1986.
Jetzt wird vom Coup in Frankreich geträumt. Der nationale Verband wählte als Motto fürs Turnier den Spruch “Dare to dream“. Ja, sie wagen es zu träumen. Auch die vier besten Gruppendritten kommen schließlich in die K.o.-Spiele. Warum soll Nordirland nicht dabei sein, wenn die Achtelfinals gespielt werden? Die Nordiren können zum EM-Start eine beeindruckende Erfolgsserie vorweisen. In zwölf Spielen hintereinander sind sie nun schon ungeschlagen. Kein anderer Turnierteilnehmer hat Derartiges geschafft. Die gute Nachricht des gestrigen Tages wurde gleich zu Beginn der nur 15 Minuten lang für Beobachter offenen Trainingseinheit in die Heimat vermeldet. Torjäger Kyle Lafferty machte wieder fleißig mit. “Encouraging“ sei das, ermutigend, sprach der Mann von der BBC in sein Mikrofon. Sie brauchen diesen Lafferty, der sich gleich nach der Anreise zur EM eine Trainingsblessur zugezogen hatte. Die Leiste zwickte. Der groß gewachsene Kyle Lafferty, der bei Norwich City in England unter Vertrag steht, zuletzt aber als Dauerbankdrücker nach Birmingham in die zweite Liga ausgeliehen war, kam als Garant des nordirischen Qualifikationsmärchens groß heraus. In acht Spielen traf er sieben Mal. Nun beruhigte Abwehrroutinier Gareth McAuley in der verspäteten Pressekonferenz die Fans endgültig: “Kyle geht's gut.“ Lafferty verdankt seinen Aufschwung im nordirischen Team vor allem dem psychologischen Talent von Trainer O'Neill. “Was Michael mir gesagt hat, vor jedem Spiel, vor jedem Warmmachen, das hat mir den Glauben gegeben, dass ich rausgehen und gegen jeden treffen kann. Ich hatte das Gefühl, für ihn durch jede Ziegelwand laufen zu wollen.“
Also kam er raus aus seinem Tief. “Ich habe niemals das Handtuch geworfen. Ich war nahe dran, aber ich habe entschieden, das nicht zu tun, weil ich es liebe, für mein Land zu spielen.“
Jetzt endlich richtig erfolgreich. Der 36-jährige Defensivhaudegen Gareth McAuley hat vor zehn Jahren die düsteren Zeiten miterlebt, als die nordirische Mannschaft in der Weltrangliste jenseits von Platz 100 geführt wurde, irgendwo in der Nähe von Malawi. Nun steht das Team auf Platz 25 in der Welt. Und McAuley spricht darüber, wie er den polnischen Stürmerstar Robert Lewandowski vom FC Bayern aus dem Spiel nehmen könnte. Sie sind selbstbewusst geworden, die Nordiren.
Die Serie der ungeschlagenen Spiele soll noch ein bisschen weitergehen. Kyle Lafferty sagt: “Ich glaube nicht, dass wir bei der EM sind, nur um das Feld aufzufüllen.“