Polen und Ukraine fühlen sich als Gewinner
Warschau (dpa) - Madonna statt Tortaumel - der Veranstaltungskalender des Warschauer Nationalstadions hat bereits die ersten Termine für die Zeit nach der EM.
Das Konzert der amerikanischen Pop-Queen Anfang August ist Teil des Konzepts - die extra für die EM gebauten polnischen EM-Stadien sollen weiter genutzt werden, nicht für die polnische Liga, aber für Großveranstaltungen aus Sport und Kultur. In Breslau fanden schon vor der EM Konzerte und Shows im EM-Stadion statt. „Was das Wembleystadion für England ist, sollte das Nationalstadion für die polnische Nationalmannschaft sein“, wünscht sich Ministerpräsident Donald Tusk auch künftig internationale Begegnungen im Stadion am Warschauer Weichselufer. „Die Stadien, die Autobahnen und Bahnhöfe - das bleibt“, sagt auch Staatspräsident Bronislaw Komorowski. „Polen und die Ukraine gehören zu den Gewinnern der EM.“
Der umstrittene ukrainische Staatschef Viktor Janukowitsch wollte sich vier Monate vor Parlamentswahlen im Glanz der EM sonnen. Aber bis auf wenige Ehrengäste beim Finale in Kiew blieb der Erzrivale der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko völlig isoliert. Trotzdem wird er das Turnier wohl als Erfolg seiner Regierung preisen. Die meisten Ukrainer wissen allerdings, dass die EM in der Ex-Sowjetrepublik auf Pump stattfand - noch viele Jahre wird das ohnehin klamme Land über die Milliardenkosten stöhnen. Das böse Erwachen ist programmiert.
Im Gespräch mit ausländischen Journalisten betonte Komorowski, während der EM habe Polen die Veränderungen der letzten 20 Jahre zeigen können. Für das Nachbarland Ukraine seien die Eindrücke aus Polen ein Beweis, dass sich die Annäherung an den Westen lohne. Viele Fans kehrten mit neuen, positiven Eindrücken zurück. Und auch Polen habe sich in den vergangenen Wochen verändert: „Was ich in den Stadien gesehen habe, das war ein völlig anderer Patriotismus.“
„Der eiserne Vorhang ist endgültig zerbrochen. Polen ist (in den Augen der Besucher) endlich ein Teil des Westens“, betonte Friedensnobelpreisträger Lech Walesa in einem Interview. Manche der Bürgermeister der Gastgeberstädte sind so begeistert von der EM-Erfahrung, dass sie auf weitere internationale Begegnungen hoffen: Der Bürgermeister von Danzig hat bereits vorgeschlagen, Polen solle sich um die WM-Ausrichtung bewerben. Erste Fan-Befragungen durch Tourismusbüros und Veranstalter lassen auf eine Rückkehr der Besucher hoffen. Der Imagegewinn, so hoffen die Gastgeber, dauert deutlich über die EM hinaus.
Fragezeichen stehen über den vier EM-Stadien in der Ukraine. Die Zukunft der vom Oligarchen Rinat Achmetow finanzierten Donbass Arena in Donezk scheint durch den stabilen Erfolg von Meister Schachtjor gesichert. Ähnlich könnte es sich in Charkow auswirken, der Heimstätte des international fast etablierten Vereins Metallist. Die Modernisierung des Olympiastadions in Kiew hat mit rund 600 Millionen Euro viel mehr gekostet als etwa die Allianz-Arena in München. Zuletzt bot Gastgeber Dynamo zahlreiche Tickets für umgerechnet einen Euro an, um die etwa 65 000 Plätze zu füllen. Sorgenkind ist das Stadion im Lwiw, in dessen Unterhaltung weitere Staatsmillionen werden fließen müssen.
Und doch war die EM nach Meinung des Politologen Wadim Karassjow ein weiterer Schritt zur westlichen Integration: „Für die Ukrainer war das Turnier eine Schule der europäischen Lebensart. Die Ukrainer spürten konkret, was es heißt, Europäer zu sein.“ Vier Wochen lang war das zwischen dem europäisch geprägten Westen und dem russisch beeinflussten Osten und Süden zerrissene Land einig.
„Creating History Together“ - Gemeinsam Geschichte schreiben - lautete das Motto der EM. „Die massiven Kontakte zwischen Ukrainern und Ausländern werden die gegenseitige Wahrnehmung prägen“, sagt der Politologe Alexej Garan. „Ausländer sahen, dass die Ukraine ein tolerantes Land ist. Und für viele Ukrainer war die Kommunikation mit EU-Bürgern ein Kontakt mit einer anderen Welt.“ Neugierig seien Ukrainer zum „Ausländergucken“ in die Fanzonen gegangen, berichteten Medien in Kiew.
„Wir sind volljährige Europäer geworden“, resümiert der polnische Sozialwissenschaftler Roch Sulima. Die Erfahrung, gute EM-Gastgeber gewesen zu sein, habe die nationalen Minderwertigkeitskomplexe geschwächt - die Polen fühlen sich nicht länger als arme Verwandtschaft aus dem Osten. Selbst die Rassismus-Vorwürfe etwa in britischen Medien vor der EM können nachträglich positiv gesehen werden, meint der Psychologe Konrad Maj: „Ein Mensch, der mit einem negativen Bild konfrontiert wird, versucht, dem entgegen zu treten.“