EM-Finale Portugal - Das Griechenland 2.0
Portugals Trainer Fernando Santos pflegt nicht nur wegen seiner engen griechischen Verbindung einen Ansatz, der an den EM-Triumph des Altmeisters Otto Rehhagel erinnert — als Typ ist er aber anders.
Lyon. Fernando Manuel Costa Santos ist keiner jener Zeitgenossen, die damit prahlen müssen, wer sich im Erfolgsfalle alles bei ihnen meldet. Politiker. Prominente. Stehen doch sowieso auf einmal alle parat, jetzt wo Portugals Nationalmannschaft den ersten Titel der Historie gewinnen kann. Das EM-Endspiel gegen Frankreich in Paris (Sonntag 21 Uhr/ARD) bezeichnet auch der Trainer als „den Höhepunkt meiner Karriere“. Als die Finalteilnahme perfekt war, hat der 61-Jährige bereitwillig verraten, welche Freunde sich eben auch zahlreich gemeldet hätten. „Eine Menge Griechen haben mir gratuliert und uns unterstützt. Meine Gedanken sind bei ihnen.“
Keine Angst, der in Lissabon geborene Fußballehrer plant nicht im fortgeschrittenen Alter, in Athen eine neue Staatsangehörigkeit zu beantragen. Aber wer zuvor sieben Spielzeiten bei griechischen Klubs (AEK Athen, Panathinaikos, PAOK Thessaloniki) zubrachte und schließlich vier Jahre Griechenlands Nationalmannschaft verantwortete (bis zur WM 2014), der darf im Triumph ruhig an seine Wahlheimat denken. Speziell, wenn es dieser Nation auch fußballerisch gerade nicht so gut geht. Obwohl diese EM auf 24 Teams aufgebläht wurde, blieben die Hellenen außen vor. In der Qualifikation abgehängt von Nordirland, Rumänien und Ungarn. Letzter. Noch hinter den Färöern!
Trotzdem spielt Griechenland nun für den Showdown morgen auf einmal eine Rolle. Denn eben jene Portugiesen hatten am 4. Juli 2004 gedanklich schon eine Hand am Coupe Henri-Delaunay, als die Spaßverderber von Otto Rehhagel beim Gastgeber die größte Überraschung der EM-Historie schafften. Nun lasten zwölf Jahre später auf Frankreich als Gastgeber gewaltige Erwartungen. Portugal empfängt nur begrenzte Sympathien. Es ist das Griechenland 2.0. Erst einmal kontrollierte Defensive und dann schauen, was in der Offensive geht. So sind die Griechen auch Europameister geworden.
Aber ein zweiter Rehhagel ist der auch etwas kauzig-knorrige Santos, der den Altmeister nach der WM 2010 beerbt hat, deswegen noch lange nicht. Dafür raucht er zu viel, trinkt zu gerne ein Bier. Und er erspart sich auch lange Belehrungen der Presse. Kostet den stillen Genießer womöglich zu viel Lebensqualität.
Was hat Senhor Santos eigentlich am Tag des EM-Finals vor zwölf Jahren in seiner Heimatstadt gemacht? Als diese Frage aufkam, kratzte sich der Mann mit dem grauen Kraushaar kurz am Kinn. Dann erzählte der 61-Jährige, dass er damals doch für einen Radiosender das Spiel kommentiert hätte. „Bis auf einen Spieler hatten alle Akteure schon bei mir gespielt.“ Griechen wie Portugiesen. Tatsächlich hat er sogar einen Cristiano Ronaldo kurz gecoacht, bevor dieser im August 2003 von Sporting Lissabon zu Manchester United ging.
Bis heute pflegen der Trainer und der Star ein vertrauensvolles Verhältnis. Mit Ronaldo hatte sich Santos schnell arrangiert, weil er die harte Arbeit schätzt, die sein Superstar dafür aufwendet. „Ich würde gerne 20 Cristiano Ronaldos haben“, sagte er einmal. War aber ein Scherz. Ansonsten unterscheidet einiges von diesen Spezies. Santos ist tief religiös und von humanistischen Werten überzeugt. „Wenn ich am Nachmittag ein Spiel habe, gehe ich sieben Uhr morgens zur Messe", verriet er einmal. Der Mann stand schon immer mitten im wahren Leben. Wer ein Elektronik-Studium abschloss und mehr als ein Jahrzehnt als Ingenieur arbeitete, der durchleuchtet eine Scheinwelt wie den Profifußball rasch. Und mit dem Starkult hat er es eigentlich nicht so.
Nachdem Santos im September vergangenen Jahres des Job von Paulo Bento übernahm, baute er nach und nach immer mehr junge Spieler ein. Im Halbfinale standen Renato Sanches (18, Neuzugang des FC Bayern), Raphael Guerreiro (22, Neuzugang Borussia Dortmund) oder João Mário (23, Sporting Lissabon) in der Anfangself. Das von ihm bevorzugte 4-4-2-System wird flexibel interpretiert und arbeitet vor allem gegen den Ball akribisch zusammen. Markenkern: kühle Effizienz, gute Ordnung.
Die Kritik — nachdem in fünf Spielen nach regulärer Spielzeit kein Sieg gelungen war — pflegte er zu ignorieren. Auch für den letzten Auftritt im Stade de France heißt es nur: „Ein Endspiel ist nicht dafür da, es zu spielen, sondern es zu gewinnen. Wir haben ein Ziel. Wir glauben, dass wir jeden Gegner schlagen können.“ Notfalls mit schnödem Zweckfußball. Schönheitspreise hat Portugal oft genug bekommen. Jetzt gelten andere Prämissen: „Wir sind nicht die beste Mannschaft der Welt. Aber wir haben ein Plan.“
Vieles erinnert damit an die EM 2004. In vertauschten Rollen. Rehhagel hat den Wettbewerb einst mit einem 400-Meter-Lauf verglichen, und dies auch seinen Co-Trainer Ioannis Topalidis stets den Spielern übersetzen lassen. „Er sagte uns immer, wir hätten schon 300 Meter hinter uns, lägen knapp hinter den anderen, könnten aber noch zulegen“, erinnert sich Angelos Charisteas, der einst im Estadio da Luz das Siegtor köpfte. Ronaldo, damals zarte 18, hat jetzt gesagt, das Turnier sei wie ein Marathon. Es komme auf den langen Atem auf der Zielgeraden an. Sie haben gelernt, die Portugiesen. Vielleicht haben sie diesmal einfach den richtigen Trainer.