Stark sehr souverän - nur Advocaat meckert
Warschau (dpa) - Nach einer Stunde musste Wolfgang Stark erstmals Gelb zücken - ausgerechnet gegen Bundesliga-Profi Robert Lewandowski. Der deutsche Schiedsrichter kam bei der EM im brisanten Duell zwischen Polen und Russland zu seinem ersten Einsatz - und erntete (fast) nur Lob.
Der knurrige Herr Advocaat hatte was zu meckern. „Ich werde sicher nichts über den Schiedsrichter sagen. Sie haben gesehen, was ich auch gesehen habe, aber es macht keinen Sinn, darüber zu reden“, sagte der Coach der russischen Nationalmannschaft nach dem 1:1 im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Polen.
Was genau der Niederländer meinte, blieb sein großes Geheimnis. Vermutlich spielte Advocaat auf eine Szene wenige Sekunden vor dem Schlusspfiff des deutschen Schiedsrichters Wolfgang Stark an, als Alan Dsagojew auf dem Weg zum möglichen 2:1 im Zweikampf zu Boden ging.
Die Pfeife des FIFA-Referees aus Ergolding blieb stumm. Es war die einzig wirklich diskutable Entscheidung in einem ansonsten ganz und gar Europameisterschafts-würdigen Auftritt des 42 Jahre alten Bankkaufmanns. In der aufgeheizten Atmosphäre des Nationalstadions von Warschau agierte Stark gestenreich, autoritär, durchsetzungsstark, aber wenn nötig auch großzügig und gelassen.
„Es war eine souveräne Vorstellung, eine gute Leistung, wie man es von ihm kennt“, sagte der eingewechselte polnische Nationalspieler Adam Matuschyk, der vom Erstliga-Aufsteiger Fortuna Düsseldorf zum 1. FC Köln zurückkehrt. Matuschyks jüngste Erfahrungen mit Stark liegen noch gar nicht lange zurück. Der Bayer pfiff zuletzt das skandalöse Relegations-Rückspiel zwischen Düsseldorf gegen Hertha BSC, das eine zähe gerichtliche Verlängerung nach sich zog.
„Zu dem Spiel in Düsseldorf ist von meiner Seite alles gesagt. Grundsätzlich sind entscheidende Spiele für mich eigentlich die optimale Vorbereitung auf die EM, denn auch dort wird es in jedem Spiel um sehr viel gehen“, hatte Stark noch kurz vor seiner Abreise am 4. Juni ins Schiedsrichter-EM-Quartier im Hilton-Hotel in Warschau gesagt und betont: „Jede Mannschaft hat nur drei Gruppenspiele und will weiterkommen, also ist jedes Spiel ein Endspiel. Das erhöht den Druck auf die Spieler und damit auch auf uns Schiedsrichter.“
Diesem Druck war Stark am Dienstagabend jederzeit gewachsen. Von dem Moment an, als er um 20.39 Uhr in Begleitung seiner Assistenten und eines kleinen Jungen im roten Fußball-Trikot den Rasen betrat, strahlte er konzentrierte Souveränität aus.
Beim Aufwärmprogramm wäre er noch fast mit Polens Ersatztorwart Grzegorz Sandomierski zusammengestoßen, doch Stark machte schon zu diesem Zeitpunkt klar, wer das Sagen auf dem Spielfeld haben würde. Sandomierski musste seinen Platz räumen und das hintere Drittel des Platzes dem Schiedsrichter-Team zum Warmmachen überlassen.
Nach 18 Minuten Spielzeit mussten die polnischen Fans dann das erste Mal pfeifen, weil Stark den lautstarken Jubel über das vermeintliche 1:0 durch den Mainzer Eugen Polanski jäh stoppte - wegen einer korrekten Abseitsentscheidung. Als es nach einer Stunde und dem dritten Turniertreffer von Alan Dsagojew (37.) und dem Ausgleich durch Dortmunds Meisterspieler Jakub Blaszczykowski (57.) kurz hitzig wurde und Robert Lewandowski und der Russe Igor Denisow aneinandergerieten, zückte Stark konsequent für beide Gelb. Und als Shootingstar Dsagojew meckerte, wurde er ebenfalls verwarnt (75.).
Auch die packende dreiminütige Nachspielzeit absolvierte Stark mit Bravour - zur Belohnung gab es nach dem Schlusspfiff sogar einen freundschaftlichen Klaps vom Torschützen Blaszczykowski.