Studenten analysieren deutsche Gegner für Löw
Berlin (dpa) - Joachim Löw überlässt nichts dem Zufall. Über den EM-Gruppengegner Niederlande war der Bundestrainer bis ins kleinste Detail informiert.
Ein Studenten-Team der Sporthochschule Köln unter der Leitung von Professor Jürgen Buschmann zerlegte den Widersacher in seine Einzelteile und lieferte Löw wertvolle Hinweise auf die Stärken, Schwächen und Spielweise der Elftal.
„Das erste EM-Spiel der Niederlande gegen Dänemark haben sieben Personen analysiert und die Ergebnisse auf knapp 40 Seiten verschriftlicht. Jede Aussage muss jedoch mit einer passenden Videosequenz belegt sein“, erklärt Buschmann, der Leiter des Scouting-Projekts der Sporthochschule.
Buschmanns wissenschaftlicher Mitarbeiter Stephan Nopp begleitet die deutsche Fußball-Nationalmannschaft während der EM und arbeitet eng mit DFB-Chef-Scout Urs Siegenthaler zusammen. „Wir arbeiten die Handlungsmuster des Gegners heraus, kanalisieren die Infos und präsentieren sie dem Bundestrainer“, beschreibt Nopp kurz seine Tätigkeit vor Ort.
Siegenthaler ist zusammen mit Co-Trainer Hansi Flick verantwortlich für die Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln und setzt dabei die Vorgaben des Chefs um. „Wir wollen uns nicht am Gegner ausrichten, aber die Schwächen und Stärken der Gegner zu kennen, ist schon wichtig. Ob einer 1,94 Meter groß ist oder 85 Kilo schwer, interessiert mich nicht. Wir wollen die Charakteristik der Spieler“, sagte Löw.
Buschmann und Nopp arbeiten mit 45 Studenten zusammen, die die Partien potenzieller deutscher Gegner sezieren. Für die EM starteten sie ihre Arbeit bereits nach der Gruppenauslosung Anfang Dezember des vergangenen Jahres. „Von den 15 möglichen Gegnern haben wir die letzten fünf Qualifikations- und Freundschaftsspiele analysiert“, berichtet der Projekt-Leiter.
Zunächst bewerteten die Mitarbeiter jeden Ballkontakt. Das sind pro Spiel laut Buschmann ungefähr 1500 bis 2000 Aktionen, die ausgewertet werden. „Der qualitative Ansatz“, wie ihn Buschmann nennt, interessiere Löw und Siegenthaler, der das Bindeglied zwischen Wissenschaftlern und dem Bundestrainer ist, indes viel mehr: „Hier geht es darum, wie der Spielaufbau stattfindet und über wen? Wie ist das Abwehrverhalten? Wie verhält sich das Team bei Ballverlust oder -gewinn? Oder wie reagiert es auf einen Rückstand?“
Der Professor betont: „Alle diese Erkenntnisse werden auf der Basis der deutschen Spielphilosophie erhoben.“ Löw lege zum Beispiel die Abstände zwischen den einzelnen Verteidigern genau fest. Buschmann: „Wenn diese beim Gegner enger oder weiter sind, wird das taktische System so angepasst, um die Lücke zu finden.“
In den vergangenen Jahren hätten sich der Fußball wie auch die Leistungsdiagnostik stark weiterentwickelt, urteilt Nopp: „Es gibt viel mehr Unternehmen, die spezielle Software dafür anbieten, als früher.“ Wer Spielleistungen messen möchte, könne mittlerweile auf sehr professionelle Technik zurückgreifen. Zudem sei der Trend zu erkennen, das immer mehr Teams „offensivere Lösungen“ anstreben. Früher hätten eher Begriffe wie „verdichten“, oder „doppeln“ im Zentrum gestanden, die sich auf die Defensive beziehen.
Die Anfänge dieses Scouting-Projekts gehen auf den früheren DFB-Teamchef Jürgen Klinsmann zurück. Im September 2005 knüpfte der DFB-Medienkoordinator Hans-Ulrich Voigt auf Wunsch Klinsmanns den Kontakt zu Professor Buschmann. „Nachts um 1 Uhr hat bei mir das Telefon geklingelt, ich stand kerzengerade im Bett“, erzählt Buschmann: „Es war Jürgen Klinsmann, der mich fragte, ob ich mir eine Zusammenarbeit mit dem DFB vorstellen könne.“