Weltoffen: Die deutsche Internationalmannschaft

Danzig (dpa) - Für die Fußball-Nationalspieler ist die Sache einfach. „Hautfarbe und Herkunft machen für uns keinen Unterschied“, sagte Jérôme Boateng, dessen Vater aus Ghana stammt. „Da zählt nicht, ob einer halb Pole oder Afrikaner ist.

Wir haben alle dasselbe Ziel.“

Wenn Deutschland bei der Europameisterschaft wie am Freitag gegen Griechenland spielt, gehören Spieler mit ausländischen Wurzeln zu den tragenden Säulen der deutschen Internationalmannschaft. Da kann es passieren, dass der Deutsch-Tunesier Sami Khedira nach außen zum gebürtigen Polen Lukas Podolski passt. Von dort kommt der Ball über den türkisch-stämmigen Mesut Özil zum Halb-Spanier Mario Gomez, der den Angriff mit einem Tor abschließt, über das dann alle gemeinsam mit waschechten Bayern wie Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Thomas Müller jubeln.

Das Tor löst millionenfache Begeisterung in der Heimat aus, und auf der Tribüne klatscht auch die Bundeskanzlerin Beifall. Denn Angela Merkel, die zum Viertelfinale nach Danzig kommen wollte, ist längst zu einem Fan der Multi-Kulti-Gruppe um Özil und Co. geworden. Bei ihrem Besuch im Teamhotel vor dem Beginn des Turniers schwärmte sie von dem „wunderbaren Mannschaftsgeist“, den sie beim gemeinsamen Abendessen gespürt habe. Teammanager Oliver Bierhoff verkündet stolz: „Die Nationalmannschaft ist ein Paradebeispiel dafür, wie Integration erfolgreich und ganz selbstverständlich gelebt wird.“

Angela Merkel sorgte im vergangenen Jahr auch für das deutsche Integrationsbild schlechthin. Es zeigte die Regierungschefin nach dem 3:0 gegen die Türkei in Berlin in der deutschen Mannschaftskabine mit dem halbnackten Özil. Die Veröffentlichung durch das Bundespresseamt sorgte für Wirbel, es beinhaltete eine klare politische Botschaft.

Der damalige Bundespräsident Christian Wulff, der 2010 kurz nach seiner Wahl zur WM nach Südafrika anreiste, lobte das junge Team von Bundestrainer Joachim Löw nach dem Spiel um Platz drei für seine frischen und sympathischen Auftritte. „Die Nationalmannschaft war bester Botschafter unseres Landes in der Welt“, erklärte Wulff: „Sie hat ein Bild von einem bunten, weltoffenen Deutschland gezeichnet.“

Es hat sich viel verändert im deutschen Fußball. Beim letzten Titelgewinn 1996 in England gab es gerade einmal zwei Europameister ausländischer Abstammung: Mehmet Scholl (türkischer Vater) und Fredi Boboc, dessen Mutter aus Kroatien stammt, der Vater aus Slowenien.

Im EM-Kader 2012 sind es sieben von 23 Spielern; Boateng (Ghana), Gündogan, Özil (beide Türkei), Khedira (Tunesien), Podolski, Klose (beide Polen) und Gomez (Spanien). Für Bierhoff ist das ein Gewinn: „Unser Spiel wäre eintöniger, weniger abwechslungsreich, weniger fantasievoll. Unsere Spieler mit Migrationshintergrund bringen durch ihre Spielweise andere Einflüsse mit ein. Das wirkt bereichernd.“

Für die Spieler ist es nicht immer einfach, mit ganzem Herzen für Deutschland Fußball zu spielen und ihre Herkunft dennoch nicht zu verleugnen. Die Nationalhymne singen Özil, Khedira, Boateng, Podolski nicht mit, weil oftmals auch Verwandte noch in ihren Heimatländern leben. Aus Respekt bejubelte Podolski seine EM-Tore beim 2:0 gegen Polen 2008 nur still. Özil vermied Jubelgesten, als er vor dem Glückwunsch-Foto mit der Kanzlerin gegen das Land seiner Eltern traf.

Die Twitter-Hetze gegen den 23 Jahre alten Jungstar während des Dänemark-Spiels sorgte für Empörung. „Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert die Abstammung nicht“, lautete die anonym verbreitete Parole im Internet. Özils Management stellte Anzeige gegen Unbekannt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bezeichnete die Verunglimpfung als „widerwärtig“.

Der in Gelsenkirchen geborene und aufgewachsene Özil sieht sich als internationaler Kicker in einer globalisierten Welt, wie er gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag) betonte. „Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht - bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke? Warum denken wir immer so in Grenzen? Ich will als Fußballer gemessen werden - und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun.“

Bierhoff sagt, dass die Spieler mit Zuwanderungsgeschichte „mit Stolz den Adler auf dem Trikot tragen“. Sie müssen ja nicht gleich eine schwarz-rot-goldene Fahne auf den Schuhen haben wie Per Mertesacker: „Das ist mir schon wichtig.“

Der in Oppeln geborene Klose singt sogar die deutsche Hymne mit, was ihm beim 2:2 im Testspiel gegen den EM-Gastgeber 2011 in Danzig laute Pfiffe der polnischen Fans eintrug. In polnischen Zeitungen war zuvor zudem berichtet worden, „dass mir der Kontakt nach Polen nicht mehr wichtig ist“, erzählte der irritierte Klose. „Ich liebe das Land genauso wie Deutschland. Der Großteil meiner Familie kommt hierher, auch Freunde“, sagte Klose zu EM-Beginn. Die Polen waren besänftigt.

30 Spieler mit ausländischen Wurzeln seit 1998

Sieben der 23 deutschen EM-Spieler haben ihre familiären Wurzeln zumindest teilweise in anderen Ländern. Erst nach dem letzten Europameisterschafts-Gewinn 1996 kamen immer mehr Profis ausländischer Abstammung in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Seit 1998 kamen insgesamt 30 im Adler-Trikot zum Länderspiel-Debüt.

Der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts holte kurz vor dem Ende seiner Ära im September 1998 Paulo Rink und Oliver Neuville in seinen Kader. WM-Teilnehmer waren 2002 in Gerald Asamoah, Oliver Neuville und Miroslav Klose nur drei Spieler ausländischer Eltern. Bei der WM 2010 standen denn elf Akteure mit Migrationshintergrund im deutschen WM-Aufgebot.

* vor dem EM-Viertelfinale gegen Griechenland