Gnadenloses Chelsea erinnert an Bayern-Schocker
Amsterdam (dpa) - Selbst bei der Pokalübergabe im silber-blauen Konfettiregen erinnerten die Last-Minute-Titeljäger des FC Chelsea noch einmal an den gnadenlosen Champions-League-Triumph über den FC Bayern.
Wie in München tauschte der verletzte Routinier John Terry nach dem 2:1 im Europa-League-Finale gegen Benfica Lissabon seinen Anzug gegen das Blues-Jersey und präsentierte die Trophäe gemeinsam mit Frank Lampard auf der Tribüne.
Für anderthalb Wochen dürfen sich die Londoner mit Reservist Marko Marin nach einer ähnlich eiskalten Vorstellung wie 2012 dank der Formel Ecke, Tor, Pokal nun vor dem Showdown zwischen Borussia Dortmund und dem FCB als Könige Europas fühlen. „Wir haben ja nicht so lange“, schwärmte Lampard auf dem grünen Teppich in der Amsterdam Arena über das erste Pokal-Double dieser Art in der Fußball- Geschichte. „Deshalb werden wir es - wie lange ist es nochmal - zehn Tage lang genießen.“ Denn am 25. Mai kommt der neue Champions-League- Gewinner aus Deutschland.
Gramgebeugt auf eine hüfthohe Krücke verfolgte Benficas Legende Eusébio den schmerzhaften K.o. in der 93. Minute durch den Kopfballtreffer von Branislav Ivanovic. Schon beim Königsklassen-Coup vor fast genau einem Jahr hatte Didier Drogba die Bayern mit seinem Ausgleich in letzter Sekunde entsetzt. „Geschichtenschreiber - Die Drama-Könige von Chelsea schnappen sich einen weiteren Euro-Titel“, formulierte der „Daily Mirror“. „Blue-Ropa Champions“, titelte die „Sun“ in blau-weißen Buchstaben.
Matchwinner Ivanovic thronte nach dem Schlusspfiff auf der Torlatte vor den enthusiastischen englischen Fans, Marin schaute ungläubig auf den Silberpott in seinen Händen. „Für mich persönlich ist es einfach nur ein Traum“, sagte der frühere Bundesliga-Profi im feinen Zwirn mit der goldenen Medaille am roten Band um seinen Hals. Zwar wartete der 24-Jährige vergeblich auf seine Einwechslung, aber: „So einen europäischen Titel gleich im ersten Jahr zu holen, ist etwas Sensationelles.“ Nach der Saison mit sieben vergebenen Pokalchancen habe es sich das Team verdient, frohlockte Ivanovic: „Besser geht's nicht. Jetzt ist Zeit zum Feiern.“
Allzu lange blieb aber nicht, den Erfolg auszukosten. Kurz vor drei Uhr morgens landete die müde Partytruppe mit einer Chartermaschine in der Heimat. „Am Donnerstag geht es wieder an die Arbeit“, meinte Torwart Petr Cech mit süß-saurer Miene vor dem Rückflug. Óscar Cardozo (68.) überwand den Tschechen per Handelfmeter zum zwischenzeitlichen Ausgleich, nachdem Fernando Torres (59.) das erste Chelsea-Tor erzielt und für ein weiteres deutsches Déjà-vu gesorgt hatte. Ähnlich abgezockt hatte der spanische Stürmersprinter Philipp Lahm beim Siegtreffer im EM-Finale 2008 übertölpelt.
Für die Wiederbelebung von Titelhamster Torres, der wie Landsmann Juan Mata auch amtierender Welt- und Europameister ist, durfte sich Interimscoach Rafael Benítez bei seinem rauschenden Euro-Abschied feiern lassen. „Manche Leute haben gesagt, dass Benítez geholt wurde, damit Torres besser wird“, meinte der Spanier und fügte ganz unbescheiden hinzu: „Ich denke, dass er sich enorm gesteigert hat.“
Der von den Fans ungeliebte Benítez erachtet seine Mission bei Chelsea vor der nahenden Ablösung durch José Mourinho als erledigt: Die finanziell unverzichtbare Qualifikation für die Königsklasse ist so gut wie geschafft, zudem zog der 53-Jährige endgültig in die Trainerruhmeshalle ein. Nur Udo Lattek konnte ebenfalls mit drei Teams einen Europapokal gewinnen. „Mach das erstmal nach, Jose“, forderte der „Daily Mirror“. Auch Chelsea schrieb weitere Fußballgeschichte und hat nun neben Bayern, Ajax Amsterdam und Juventus Turin alle kontinentalen Trophäen in der heimischen Vitrine.
Trotz der Unterstützung von Maskottchen Eusébio konnte Benfica seinen Eurofluch hingegen auch nach 51 Jahren nicht überwinden. Seit dem bislang letzten Coup im Landesmeister-Pokal haben die Adler alle sieben internationalen Endspiele verloren. „Eine große Vorführung Benficas im Europa-League-Endspiel endet mit einer neuen Tränennacht“, schrieb „Record“.
Dennoch wurde das Team am frühen Donnerstagmorgen von 200 Anhängern gebührend in Lissabon empfangen. „Jesus bleib'“, forderten die Fans in Richtung von Jorge Jesus. „Die ganze Welt hat gesehen, dass Benfica hätte gewinnen müssen“, klagte der Coach ein ähnliches Leid wie vor Jahresfrist die Bayern bei ihrem „Finale dahoam“.