Fortunas deutsch-deutsches Duell 1973, Teil 3 Der IM in der eigenen Kabine
Serie | Leipzig/Düsseldorf · Es sollte 1973 im Uefa-Pokalspiel zwischen Fortuna und Lok nur um Fußball gehen. Doch in Zeiten des Kalten Krieges wurde Fußball zur Nebensache. Ein großes Thema: die Familienkontakte der Kicker aus der DDR.
In der dritten Runde des Uefa-Pokals traf Fußball-Bundesligist Fortuna Düsseldorf im November 1973 auf Lok Leipzig. Die DDR-Führung war alarmiert und sollte für eine lückenlose Überwachung sorgen. Unsere Autoren durfte 1001 Seiten in Kopie rund um die Operation „Vorstoß I“ im Hin- und Rückspiel durch das Ministerium für Staatssicherheit („Stasi“) einsehen und auswerten. Zur Verfügung stellte die Dokumente die Dienststelle Leipzig.
Lok-Vertreter reisten in den zwei Wochen vor dem Hinspiel am 28. November 1973 nach Düsseldorf und nahmen Fortunas Fußballer in der Bundesliga doppelt unter die Lupe. F95-Geschäftsführer Werner Faßbender überquerte ebenfalls zweimal die innerdeutsche Grenze, um die Leipziger in Jena und in Dresden zu beobachten und die Organisation der Reise vorzubereiten. Die Stasiakten bezeichnen ihn fälschlicherweise als „Trainer“ und offenbaren Faßbenders lückenlose Überwachung.
Am 23. November 1973, fünf Tage vor dem Hinspiel, listete die Bezirksverwaltung Leipzig, Abteilung XX/AGS (= Arbeitsgruppe Sicherheit), die sächsische Delegation für das Hinspiel in Düsseldorf auf. Sie bewohnte im Ratinger Hotel Altenkamp sechs Einzel- und sieben Doppelzimmer. Heikel: Mindestens vier Lok-Akteure hatten „West-Verwandte“.
Die Ratinger Zeitung berichtete damals breit über das Wiedersehen vor dem Hotel zwischen einem von ihnen mit seiner Großtante und dem Großonkel aus Koblenz („nach 14-jähriger Trennung“) sowie einem weiteren Spieler mit seiner Schwester. Sie lebte inzwischen in Aachen („Vor fünf Jahren hatten sich die Geschwister zum letzten Male gesehen“). Die Berichterstattung verfolgte die Stasi interessiert. Die Artikel und wenigstens ein Informant brachten beide Fußballer in Bedrängnis. Denn ein Informant war ein Mitspieler.
Der spätere „inoffizielle Mitarbeiter“ (IM), dessen Anwerbung ebenfalls in den Akten dokumentiert ist, war bereits beim Uefa-Cup-Hinspiel in Düsseldorf im Rahmen einer „Kontakttätigkeit“ eingesetzt. Er berichtete ausführlich von diesen und weiteren Kontakten von Spielern mit Westverwandten. Auch habe ein weiteres Leipziger Delegationsmitglied zu einem Fortuna-Mitarbeiter „kollegialen Kontakt“ aufgenommen und eine Tasche mit Souvenirs angenommen, die Lok-Trainer Horst Scherbaum an die Mannschaft verteilt habe.
Zum Rückspiel gab der Informant Details über „intensive Kontaktgespräche“ zwischen West und Ost weiter, darunter auch aus heutiger Sicht eher belanglose Infos. Diese waren aber für die Beobachteten nicht ohne Risiko. So habe ein Lok-Vertreter von einem Fortunen eine Flasche Bier angenommen und „kürzlich“ eine Postkarte aus einem Trainingslager aus Spanien erhalten. Der DDR-Empfänger, sein Mannschaftskamerad, besitze „großes Geltungsbedürfnis“ und sei „schwatzhaft veranlagt“. Außerdem suchte der kickende IM in einer Ratinger Disco gezielt Kontakt zu einem Bundesdeutschen, mit dem er anschließend Briefe austauschte. Zudem berichtete er über Gespräche seiner Mitspieler in der Disco mit anderen westdeutschen „Bürgern“.
Hinter der Anwerbung von Mitspielern als Informanten steckte System: Vor der Fußball-WM 1974, also nur ein halbes Jahr später, steckte sich die Stasi das Ziel der „Abwehr möglicher gezielter Kontaktversuche“, um „die Gewinnung von Mannschaftsmitgliedern für den Profisport zu verhindern“. Helfen sollten dabei Spitzel in der Reisegruppe, also Inoffizielle Mitarbeiter und Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), konkret Spieler als IM und ein hauptamtlicher Mitarbeiter als Teil der Delegation des DDR-Fußballverbandes DFV.