Amputierten-Meisterteam Amputierten-Fußballmannschaft ist Deutscher Meister
Düsseldorf · Im Sommer 2019 begann Fortuna, im Rahmen ihrer Inklusionsprojekte eine Amputierten-Fußballmannschaft aufzubauen. Etwas mehr als drei Jahre später darf diese sich Deutscher Meister nennen. Die Geschichte eines besonderen Teams.
Am Anfang stand eine Einladung. Die flatterte Fortunas Urgestein Paul Jäger im Jahr 2019 auf den Tisch und kam von „Anpfiff ins Leben“ – einem gemeinnützigen Verein aus Sinsheim, der sich um die Förderung von Kindern, Jugendlichen und Menschen mit Amputationen kümmert. Darin fragte der Verein an, ob Fortuna vielleicht daran interessiert sei, an einem Meeting teilzunehmen, mit dem Fußballklubs aus ganz Deutschland dafür begeistert werden sollten, Programme für Amputiertenmannschaften aufzubauen.
Jäger war interessiert, und Fortunas Direktor CSR (Corporate Social Responsibility, was für die gesellschaftliche Verantwortung eines Vereins steht) holte Stefan Felix ins Boot, den Verantwortlichen für Inklusion bei Fortuna. Etwas mehr als drei Jahre später hat der Düsseldorfer Traditionsverein nun eine Trophäe in seiner Vitrine stehen – die Auszeichnung für die Deutsche Meisterschaft der Amputierten-Fußballer. Eine im Grunde unfassbare Erfolgsgeschichte.
„Damals hat wirklich keiner von uns auch nur im Traum an den Gewinn dieses Titels gedacht“, sagt Felix. „Es wurde uns allerdings schon während des Meetings in Sinsheim schnell klar, dass wir als Fortuna zumindest ein Training für Amputierten-Fußballer anbieten würden.“ Vor drei Jahren gab es in Deutschland nur zwei Standorte für dieses Segment, neben Hoffenheim noch Braunschweig. Der große und wichtige Bereich NRW war dagegen noch Brachland, und da sollte – und wollte – Fortuna helfen.
„Wir haben damit angefangen, dass wir Flyer gedruckt und mit denen im Gepäck Sanitätshäuser in der ganzen Umgebung abgefahren haben“, berichtet Felix. „So fanden wir Interessenten und haben noch im Jahr 2019 mit vier, fünf Spielern angefangen. Damals haben wir noch mit drei Feldspielern und einem Torhüter in einer Kleinversion gekickt, während Hoffenheim schon internationale Turniere für Deutschland gespielt hat.“ Dennoch war es ein guter Start mit viel Zulauf, ehe Corona das ganze Vorhaben zurückwarf. „Es war harte Arbeit, die frisch angeworbenen Leute über die Coronazeit hinweg bei der Stange zu halten.“ Doch es gelang, und aus dem ersten richtigen Doppelspieltag mit voller Besetzung ging die Fortuna-Mannschaft schon als sensationeller Tabellenführer heraus.
Als Trainer betreute da bereits Sinisa Nedeljkovic die Truppe – ehemaliger U23-Spieler der Fortuna, der nach seiner aktiven Karriere darauf brannte, weiter für seinen Herzensklub zu arbeiten. „Ich bin bei Fortuna, seit ich ein kleiner Junge war“, berichtet der 36-Jährige. „Nachdem ich ins Trainerleben hineingeschnuppert hatte, war ich zunächst von Anfang an beim Blindenfußball dabei, was mich total fasziniert hat.“
Schließlich kam das Amputiertenprojekt, und Nedeljkovic stieg gern mit ein. „Der soziale Gedanke reizte mich“, erklärt der gebürtige Düsseldorfer. „Durch eine familiäre Erfahrung war mir klargeworden, dass es im Leben viel Wichtigeres gibt als Geld. Ob du irgendwann mal ein oder zwei Euro mehr verdient hast, daran erinnert man sich schnell nicht mehr. Was zählt, sind die Momente, die einen berühren.“ Und die erlebte er schnell auch mit seiner neuen Mannschaft.
Trainer behandelt die Spieler
wie jeden anderen ohne Handicap
„Ich habe die Spieler behandelt wie jeden anderen Spieler ohne Handicap auch“, berichtet der Trainer. „Das Thema Inklusion hatte mich einfach gepackt, besonders der Amputierten-Fußball, weil es dort genauso zur Sache geht wie im klassischen Fußball. Ich bin sehr stolz auf die Jungs, ich habe auch sehr viel von ihnen gelernt. Vor allem, worauf es ankommt im Leben. Die Jungs jammern nicht, die wollen Vollgas geben und immer weitermachen.“ Dabei hat jeder seine individuelle Geschichte: Der eine verlor ein Bein im Krieg, der andere bei einem Unfall oder durch Krankheit, wieder ein anderer kennt nur das Leben mit einem Bein. Diese Geschichten sollen aber nicht in der Öffentlichkeit verbreitet werden, weil es jetzt nur noch um den Sport geht.
In der ersten Saison musste Fortuna noch etwas Lehrgeld zahlen, weil einige Verletzungen den noch sehr kleinen Kader zu sehr schwächten. Aber es ging weiter aufwärts – weil sich deutschlandweit die Strukturen verbesserten, nicht mehr wie anfangs üblich erst Tage vor einem Turnier der Austragungsort festgelegt wurde. Und die Flingerner konnten sich auf unterschiedliche Weise bestens verstärken, holten vor dem Meistertitel schon den Pokal. Mal erkannte die Konkurrenz das Potenzial eines Spielers nicht, weswegen dieser sein Glück bei Fortuna versuchte, mal meldete sich einfach jemand via Facebook bei Stefan Felix.
Letzterer war Setonji Ogunbiyi, der sich von Nigeria aus zum Studium in Bochum angemeldet hatte und nun seinen Sport Amputierten-Fußball in der Nähe ausüben wollte. Ein absoluter Glücksfall: Ogunbiyi wurde zu einem bärenstarken Führungsspieler auf dem Weg zum im Herbst errungenen Meistertitel und schaffte es im September 2021 auch schon in die Auswahl zum „Tor des Monats“, musste sich dabei allerdings keinem Geringeren als Erling Haaland geschlagen geben. Unterm Strich kam eine „Multi-Kulti-Truppe“ (so der Trainer) zusammen, unter anderem mit Nationalspielern aus Marokko und Deutschland.
Ob Kapitän Jonas Lappe, Torjäger Redouane Chanoune, Setonji Ogunbiyi und Co. ihren Titel erfolgreich verteidigen können, weiß zur Stunde niemand, das ist aber auch nicht das Wichtigste an Fortunas Programm. „Als Sinisa mich um Unterstützung bat, war ich gleich beim ersten Training hellauf begeistert von diesem Team“, berichtet Michael Schramm, anfangs Betreuer und später Co-Trainer. „Es erdet einen einfach, mit diesen tollen Jungs zu arbeiten, man bekommt einen ganz anderen Blickwinkel aufs Leben. Und als ich nun aus familiären Gründen aufhören musste, habe ich mich bei allen für diese großartige Zeit bedankt.“
Auch Nedejkovic nimmt nur Positives aus seinen drei Jahren als Coach mit. „Als wir anfingen, hatte uns keiner auf dem Schirm“, erklärt er, „und dann hatten wir so viel Erfolg. Hoffenheim hat die wesentlich besseren finanziellen Voraussetzungen, ist der FC Bayern des Amputierten-Fußballs, doch wir haben sie geschlagen. Dabei möchte ich mich besonders bei Paul Jäger bedanken, denn ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen. Aber noch viel wichtiger ist das, was wir alle für das Leben mitnehmen konnten. Wenn man sieht, was den Einzelnen widerfahren ist, weshalb es zu den Amputationen kam und wie alle mit ihrer Situation umgehen – dann stellt man sich die vielen kleinen dummen Fragen, die einem früher den Alltag vermiesten, nicht mehr.“
Und mies war nun wirklich gar nichts an jenem 11. November, als Mannschaft und Trainerteam vor Fortunas Zweitligaspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern von mehr als 40 000 Zuschauern frenetisch für den Titelgewinn gefeiert wurden. „Das war eine richtige Wertschätzung“, sagt Nedeljkovic. „Für unsere Jungs und für die gesamte Sportart. Ein einmaliges und faszinierendes Erlebnis, das wir alle nie vergessen werden. Und die Mannschaft hat es verdient. Diese Jungs sind für mich die wahren Helden und Kämpfertypen.“