Fortunas NLZ-Leiter Frank Schaefer im Interview „Wir sehen den Abstieg tatsächlich als Chance“

Düsseldorf · Neues Leistungszentrum, neue Struktur — Fortunas Jugend hat einen Umbruch hinter sich. NLZ-Leiter Frank Schaefer über die Strategie der Jugendarbeit, wie hart die Jagd um Fußball-Talente geworden ist und was der Abstieg der Profis für den Nachwuchs bedeutet.

Fortunas U 19 spielte eine starke Saison in der Bundesliga. Hier setzt sich Daniel Kyerewaa (Mitte) gegen zwei Gladbacher durch.

Foto: Ja/HORSTMUELLER GmbH / Schröder

Anfang 2019 eröffnete die Fortuna ihr neues Nachwuchsleistungzentrum (NLZ) am Flinger Broich. Nun könne sie endlich mit den anderen Profiklubs aus der Region konkurrieren, hieß es damals. Jetzt hat der Fußball-Zweitligist auch die personelle Struktur seiner Jugendarbeit geändert. NLZ-Chef Frank Schaefer erklärt im WZ-Gespräch, wie es um den Nachwuchs der Fortuna steht.

Herr Schaefer, es gibt am Flinger Broich nicht nur ein neues Gebäude für die Fortuna-Jugend, auch die Struktur des NLZ hat sich verändert. Was waren die Gründe?

Frank Schaefer: Erstmal muss man sagen, dass ein NLZ quasi eine Organisation in einer Organisation ist. Wir sind mit Hauptamtlern, Ehrenamtlern und Spielern knapp 300 Personen und damit die größte Abteilung, die es bei Fortuna Düsseldorf gibt. Es war zwingend erforderlich, diesen Anforderungen durch eine zeitgemäße Struktur zu begegnen. Das haben wir gemacht, und ich denke, unsere neuen Strukturen passen exakt zum Klub und den speziellen Rahmenbedingungen.

Was hat sich verändert?

Schaefer: Der Verein hat vor einem Dreivierteljahr die Entscheidung getroffen, meine Position in ein Direktorat umzuwandeln, um das NLZ im Verein weiter zu stärken. Ich habe natürlich weiter die Gesamtverantwortung für alles, insbesondere aber auch für den Übergangsbereich U 17 bis U 23 sowie den Schnittstellenbereich zu den Lizenzspielern und arbeite in dieser Funktion stark mit dem Vorstand und insbesondere mit unserem Sportvorstand Uwe Klein zusammen. So können wir eine bessere Verzahnung zwischen Jugend und Profis organisieren. Unterhalb meiner Position haben wir drei Leiter, die wichtige Themenbereiche abdecken: Till Mester ist verantwortlich für alle administrativen Abläufe, mit Jari Richardson haben wir einen Geschäftsstellenleiter, der unser neues Gebäude verwaltet und gleichzeitig auch für den Bereich U 9 bis U 11 zuständig ist. Und Lukas Völker koordiniert den extrem wichtigen Bereich U 12 bis U 16. Zudem fungiert seit 1. Juli unser U 19-Trainer Sinisa Suker als Nachwuchs-Cheftrainer und ist somit ein weiterer wichtiger Ansprechpartner für alle Nachwuchstrainer. Infrastrukturell war der Umzug in unser neues Gebäude am Flinger Broich natürlich ein Meilenstein.

Heißt das, dass Sie mit dem operativen Geschäft nicht mehr viel zu tun haben und stattdessen Botschafter der Jugend beim Vorstand sind?

Schaefer: Im Gegenteil. Ob sie es glauben oder nicht: Wir sind im NLZ-Vergleich in dieser Struktur immer noch schmal aufgestellt, zumal die Führung der U 23 auch bei mir hinzukommt. Aber meine Vorstellung von Leitung ist es immer, die Mitarbeiter zu stärken und ihnen Verantwortung zu übertragen.

Wie lief die NLZ-Arbeit in Corona-Zeiten?

Schaefer: Wir haben uns entschieden, proaktiv und nicht abwartend mit der Situation umzugehen. Da muss ich mich beim Vorstand bedanken, durch dessen begleitende Unterstützung dieser Weg überhaupt erst möglich war. Wir haben sehr kreative Trainingsangebote gemacht und mit unseren Scouts die Kaderplanung vorangetrieben. Wir haben die Krise als Chance gesehen, mit der Situation anders umzugehen als der ein oder andere Mitkonkurrent.

Für Ihre A-Jugend war der Saisonabbruch besonders bitter. Die U 19 war in der Spitzengruppe der Bundesliga. War das ein besonderer Jahrgang oder ist die Leistung ein Zeichen, dass das neue NLZ Früchte abwirft?

Schaefer: Nicht nur die U 19 hat eine tolle Saison gespielt, unsere U 15 beispielsweise war ebenso in der Spitzengruppe der Regionalliga. Trotzdem muss man klar sagen, dass solche Platzierungen immer außergewöhnlich sind, wenn man unsere finanziellen Voraussetzungen mit denen unserer Top-Konkurrenten vergleicht. Wir haben uns in den letzten Jahren aber großen Respekt in der Szene erarbeitet — und den wollen wir weiter ausbauen. Wir sind zu einer guten Adresse im westdeutschen Fußball geworden.

Liegt das am neuen NLZ?

Schaefer: Natürlich auch. Hierdurch sind wir attraktiver geworden. Grundsätzlich glaube ich aber, dass Jugendarbeit immer nach dem Prinzip Saat und Ernte verläuft. Bei den Profis ist es ein Tagesgeschäft, im Nachwuchs sieht man die Ergebnisse guter Arbeit oftmals erst nach fünf Jahren, genauso wie sich Fehler häufig erst nach einer bestimmten Zeit bemerkbar machen.

Wo steht die Fortuna also im Jugendbereich? Kann sie mit Klubs wie Schalke, Dortmund, Leverkusen oder Mönchengladbach mithalten?

Schaefer: Wir befinden uns im Aufholmodus, der nicht abgeschlossen ist, der aber auch seine finanziellen Grenzen hat, das muss man klar sagen. Man muss bei uns immer wissen, dass wir erst seit 2009 zertifiziertes NLZ sind, einige Jahre nach den großen Klubs in unserer Umgebung. Interessant dabei ist, dass somit unsere jetzige U 19 der erste Jahrgang ist, der bei uns ab der U 9 komplett einen NLZ-Betrieb durchlaufen hat. Und ich denke, das Ergebnis kann sich nun sehen lassen.

Frank Schaefer im Paul-Janes-Stadion.

Foto: Christof Wolff (CW)

Muss man trotzdem weiter damit rechnen, dass die Toptalente schon in der C- oder B-Jugend abwandern? Es gibt ja mehrere Beispiele von Spielern, die die Fortuna gern behalten hätte, darunter Jugendnationalspieler.

Schaefer: Ja, man könnte mit den Spielern, die in den vergangenen Jahren von Fortuna Düsseldorf weggegangen sind, schon eine gute Elf aufstellen. Und auch jetzt wäre es unrealistisch zu behaupten, dass das nicht mehr passiert. Die NLZ-Szene hat sich zu einem Haifischbecken entwickelt, in dem sich sogar die großen deutschen Top-Klubs mit viel Geld gegenseitig Spieler abjagen. Da gibt es ganz neue Dimensionen im Bereich Spielergehälter, Transfersummen und Ausbildungsentschädigungen. Es wäre vermessen zu glauben, dass gerade uns das dann nicht mehr passiert. Wir müssen dann noch mehr Energie auf die anderen Jungs verwenden. Vom Weggang von Spielern können die Jungs, die bei uns bleiben, auch profitieren.

Man hört von vierstelligen Gehältern für Jugendspieler und Jobs für Eltern. Wie will die Fortuna da mithalten?

Schaefer: Wir haben mittlerweile deutlich bessere Argumente, Spieler zu halten als noch vor einigen Jahren. Ich sage voller Überzeugung, dass es keinen sportlichen Grund mehr gibt, die Fortuna in jungen Jahren zu verlassen. Wir werden aller Voraussicht nach nicht um die Deutsche Meisterschaft spielen, wir gehen aber im Zuge einer immer größer werdenden Verzahnung mit dem Lizenzspielerbereich einen ganz speziellen Weg. Alleine schon, weil wir kein klassisches Internat haben. Wir setzen in allererster Linie auf regionale Spieler, die zu Hause wohnen bleiben können, mit denen wir viel Geduld haben, die sich in einer sehr familiären Atmosphäre sehr wohl fühlen und die keine Angst haben müssen, dass sie durch eine Internatskonstellation jedes Jahr durch nationale oder sogar internationale Spieler ausgetauscht werden. Dies erzeugt eine hohe Durchlässigkeit, ein wichtiger Faktor erfolgreicher Jugendarbeit.

Teenager aus Afrika oder Südamerika holen, wie es andere Klubs machen, wird es bei der Fortuna also weiterhin nicht geben?

Schaefer: Nein, wir haben eine andere Strategie, die sich an unseren Möglichkeiten orientieren muss. Um Nationalspieler können wir nicht konkurrieren, also müssen wir sie ausbilden. Ich möchte an dieser Stelle aber erwähnen: Ich bin lange im Geschäft und habe die Erfahrung gemacht, dass meistens die regionalen Spieler in den Klubs den Durchbruch schaffen. Die, die eine hohe Identifikation mit ihrem Verein haben, ihrem Verein und den handelnden Personen vertrauen, die zu Hause wohnen bleiben und sich in ihrem gewohnten Umfeld bewegen. Ein Kai Havertz ist von Bayer Leverkusen auch nicht in der U 17 von irgendwo hergeholt worden, der spielt seit der U 10 in Leverkusen. Nickell Toglou wurde bei uns Lizenzspieler und hat in der U 9 bei Fortuna angefangen. Ein Shinta Appelkamp spielt auch seit Jahren bei uns.

Der hat diese Woche einen neuen Profivertrag unterschrieben. Vor einigen Jahren gab es Ihlas Bebou, der dann für Millionen verkauft wurde. Jahrelang kamen aber relativ wenige Jugendspieler bei den Profis an. Ist es mittlerweile ein Ziel, so und so viele Eigengewächse bei den Profis zu haben?

Schaefer: Es ist sehr schwierig, da Ziele zu entwickeln. Ich halte mich an die Fakten. Und die Fakten sagen, dass wir in diesem Jahr mit Shinta Appelkamp, Nikkel Touglu und Dennis Gorka gleich drei Spielern einen Lizenzspieler-Vertrag gegeben haben. Das ist schon eine außergewöhnliche Quote, die auch nicht jedes Jahr zu erreichen ist. Trotzdem sehe ich in unseren Jugendteams genügend Potenzial, um dem Profibereich in den nächsten Jahren weitere Spieler anzubieten.

Ist der Abstieg aus der Bundesliga sogar eine Chance für die NLZ-Spieler, weil es leichter ist, in einem Zweitligakader Platz zu finden?

Schaefer: Wir sehen das tatsächlich als Chance. In unserer U 19 und in der U 23 sehe ich zusätzlich zu den Spielern mit Lizenzspielerverträgen noch drei oder vier weitere Spieler, die im Laufe der Saison interessant werden können. Die Spieler sind weiter als vor einigen Jahren, was auch an der Entwicklung des NLZ liegt. Man muss aber ganz klar sagen: Den letzten Schliff erhalten Spieler nicht im NLZ. Das zu glauben, ist ein Trugschluss. Dort werden sie zu maximal 80 Prozent ausgebildet, die restlichen 20 Prozent hängen am Adaptionsprozess des im NLZ erworbenen Leistungsvermögens an das Profiniveau. Und um das zu erreichen, müssen die Jungs erst mal in den Profibereich reingeschmissen werden.

Dann müssen sie dort auch spielen. Training mit Profis hilft sicherlich, aber die wahre Entwicklung macht man während der Spiele.

Schaefer: Die Jungs sind alle technisch gut, alle taktisch gut, der Großteil der U 19- oder U 23-Spieler ist in der Lage, im Training bei den Profis mithalten zu können. Aber beim letzten Schritt kommt es auf die Wettkampfhärte an, auf die Intensität und die spezielle Atmosphäre im Profibereich. Das meine ich mit Adaptionsprozess, dass die Spieler ihr technisch-taktisches Vermögen an den Profibereich adaptieren. Und das können sie nur, wenn sie da auch zum Einsatz kommen.