Interview Rosen: Kein Neuzugang für 25 Millionen Euro

Hoffenheims Sportdirektor spricht über die Folgen von Rang neun im Bundesligaklassement und den neuen Trainer Alfred Schreuder.

Symbolbild

Foto: dpa/Robin Rudel

Nach dem Saisonende hat sich Alexander Rosen als Direktor Profifußball bei der TSG 1899 Hoffenheim mehr als eine Stunde Zeit für dieses Interview genommen.

Herr Rosen, wo wurde mehr Adrenalin freigesetzt: Bei ihrer gemeinsamen Canyoning-Tour mit Julian Nagelsmann oder beim nervenaufreibenden letzten Bundesliga-Spieltag?

Alexander Rosen: Grundsätzlich ist der Adrenalinspiegel in der Bundesliga schon recht hoch und am letzten Spieltag einer Saison vielleicht noch etwas höher. Wenn man allerdings vor einem Sprung in rund 15 Meter Tiefe steht oder sich aus 30 Metern abseilen muss, dann ist das Level durchaus vergleichbar und definitiv ein besonderes Erlebnis. Wir haben das als persönlichen Abschluss einer fast zehnjährigen gemeinsamen Zeit gemacht. Für mich galt es die Herausforderung zu meistern, wie ich den Extremsport-Liebhaber Julian Nagelsmann an seine Grenzen bringen kann.

Eine Grenzerfahrung war auch das Bundesliga-Finale: Wie ist Ihre Gefühlslage?

Rosen: Es fühlt sich immer noch nicht gut an. Man denkt: Es kann nicht sein, dass wir Neunter sind, wir haben 51 Punkte, eine Tordifferenz von +18 und laut Statistik fast 300 Torchancen herausgespielt – nur Bayern ist da besser. Aber unsere Effektivität war einfach schlecht.

Wie beeinträchtigt das Verpassen der Europa-League-Plätze Ihre Kaderplanung?

Rosen: Es wird tendenziell eher die Größe des Kaders beeinflussen als den Lizenzspieleretat. Tatsächlich ist es so, dass wir nicht nur im laufenden Geschäftsjahr enorme Erträge generiert haben, sondern auch in den Jahren davor. In der Vorsaison wurde ein Überschuss in Höhe von 28 Millionen Euro realisiert – das ist herausragend. Nicht zuletzt durch die Transfers von Nico Schulz (für 27 Millionen Euro nach Dortmund) und Kerem Demirbay (für 32 Millionen Euro nach Leverkusen, jeweils Anmerkung der Redaktion) sind wir auch für die kommenden Jahre in einer sehr stabilen Ausgangslage. Deshalb wirft es uns wirtschaftlich auch nicht aus der Bahn, dass wir das internationale Geschäft nicht erreicht haben.

Müssen Sie ohne die Europa League mehr Überzeugungsarbeit leisten, um Spieler halten zu können?

Rosen: Es mag sein, dass dieses Thema im Einzelfall eine übergeordnete Bedeutung haben kann. Unsere Jungs wissen aber sehr genau, was sie hier haben – und was möglich ist. Es muss schon viel passieren, dass Spieler uns verlassen und ich nehme wahr, dass wir uns Jahr für Jahr in der Nahrungskette nach oben gearbeitet haben.

Es wird aber immer wieder verlockende Angebote geben.

Rosen: Das ist richtig und da müssen wir uns auch nichts vormachen. Wir haben allerdings die Kraft „Nein“ zu sagen, weil wir in allen Bereichen gewachsen sind – auch im Hinblick auf den Etat. Wir versuchen, die Erträge mit Augenmaß zu investieren und es ist von elementarer Bedeutung, den sogenannten internen Transfermarkt (Gehaltserhöhungen für eigene Spieler, Anmerk. der Redaktion) nicht zu vernachlässigen. Im Endeffekt liegen wir mit Tabellenplatz neun sportlich genau da, wo wir im Hinblick auf die Ausgaben für das kickende Personal stehen. Trotzdem ist das nicht das, was wir wollen. An die ersten sieben Clubs werden wir in finanzieller Hinsicht kurzfristig nicht herankommen. Diese Teams bewegen sich teilweise in völlig anderen Dimensionen.

Also könnten Sie auch „Nein“ sagen, wenn Topstürmer Andrej Kramaric mit einem lukrativen Angebot eines Champions-League-Clubs vorstellig werden würde?

Rosen: Ja, wir können ‘Nein’ sagen. Trotzdem gibt es bei jedem Spieler persönliche Beweggründe, die man als Verantwortlicher nicht einfach negieren kann. Übertrieben gesprochen: wenn etwa Real Madrid 200 Millionen Euro Ablöse, ein Gehalt von 20 Millionen Euro netto und für Andrej die Nummer 10 bieten würde, dann könnte man diesen Transfer wohl nicht verhindern.

Gibt es aktuell Anzeichen, dass ein weiterer Leistungsträger gehen könnte?

Rosen: Nein, die gibt es nicht.

Kann es sein, dass Sie jetzt auch einmal in ein höheres Regal greifen und einen teureren Profi holen?

Rosen: Das ist durchaus im Bereich des Möglichen. Bisher war Andrej Kramaric mit knapp elf Millionen Euro Ablöse unser Rekordeinkauf. Der nächste Rekord wird sicher nicht bei 25 Millionen liegen, vielleicht werden es irgendwann einmal 15 Millionen. Diese Kraft haben wir. Aber man muss sehr aufpassen, denn wenn man sich in diesen Regionen bewegt, dann steht dahinter zumeist auch ein exorbitant hohes Gehalt und dieses hat dann einen Effekt auf das ganze Gefüge.

In der Vergangenheit hieß es immer, es müssten aus jeder Saison etwa 20 Millionen Euro erlöst werden, um den Laden am Laufen zu halten. Haben Sie die 20 Millionen damit „schon drin“?

Rosen: Es sind nicht ganz 20 Millionen, aber wir haben unsere wirtschaftlichen Hausaufgaben erneut gemacht. Wir haben diese Vorgaben zuletzt immer erfüllt. Dieser Kader hat zudem auf Jahre hinaus einen großen Wert. Nehmen wir als Beispiel Joelinton. Da gab es im Winter schon ein konkretes Angebot in Richtung 50 Millionen Euro.

Apropos Angebot: Stand Alfred Schreuder von Beginn an auf der Trainerliste?

Rosen: Nachdem er hier weg war, hielten wir trotzdem weiter Kontakt. Bereits im Herbst habe ich ihn darauf angesprochen und ihm gesagt, dass er sich einmal Gedanken über den Cheftrainerposten in Hoffenheim machen solle. Danach waren wir immer im Austausch. Es war nie eine überlange Namensliste an Trainern. Alfred war immer mit dabei.

Alfred Schreuder soll die Philosophie des Klubs weiterführen, aber es gibt sicherlich auch Dinge, die man besser machen kann...

Rosen: „Anders“ mag ich in diesem Zusammenhang lieber als „besser“. Es geht also nicht darum, was Alfred Schreuder alles anders machen soll, aber es wird definitiv etwas anders werden. Alleine dadurch, dass Alfred Schreuder ein anderer Mensch ist. Er ist knapp 15 Jahre älter, mehrfacher Familienvater, der einen schweren Schicksalsschlag erlebt hat. (Tochter Anouk starb 2006 mit sechs Jahren an einem Gehirntumor, Anmerkung der Redaktion)

Alfred Schreuder ist nicht der Entertainer, der Julian Nagelsmann ist. Haben Sie Sorge, dass Hoffenheim nun ein Stück weit unsexy wird?

Rosen: Es gibt ja noch mich (lacht). Aber Spaß beiseite: Was das betrifft, habe ich überhaupt keine Sorge. Natürlich würde jeder, der versucht, wie Julian zu sein, scheitern. Aber ich glaube, gerade deshalb tut es gut, die Arbeit mit Alfred Schreuder fortzusetzen, einer gefestigten Persönlichkeit mit einem hervorragenden Charakter. Sicher gibt es in der Zukunft die eine oder andere Story weniger über einen verrückten Anzug oder einen roten Mantel. Viel wichtiger ist aber doch die Arbeit auf und neben dem Platz.

Sie haben Ihren Vertrag bis 2023 verlängert. Gab es nicht die Überlegung: Mit der Ära Nagelsmann endet auch meine eigene hier?

Rosen: Ich bin mit meinem Job hier sehr zufrieden. Ich darf hier in einem starken Team mit vielen Freiheiten gestalten und spüre großes Vertrauen. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir diese Frage nicht gestellt hätte. Ich würde noch mehr lügen, wenn ich behaupten würde, dass es keine anderen Optionen für mich gab. Mich würde natürlich irgendwann einmal reizen, in einem großen Club zu arbeiten, der Jahr für Jahr um Titel spielt. Es muss viel passen, dass ich sagen würde: Das ist es für mich.

Was trauen Sie denn Julian Nagelsmann in Leipzig zu?

Rosen: Er findet dort ein ruhiges, hochprofessionelles Umfeld mit vielen finanziellen Möglichkeiten vor, die viel besser sind, als manch einer der Verantwortlichen gerne vorgibt. Es trifft also ein außergewöhnlicher Trainer auf einen hochveranlagten Kader in einem solventen Umfeld. Ich denke, da ist viel möglich.

Zur Person:

Seit wenigen Wochen ist Alexander Rosen im Club der Vierziger. Er wurde am 10. April 1979 in Augsburg geboren und ist in Mering (Kreis Aichach-Friedberg) aufgewachsen. Der ehemalige Junioren-Nationalspieler lief unter anderem für Eintracht Frankfurt, den 1. FC Saarbrücken und die Stuttgarter Kickers auf. Er hat ein Studium der Sportökonomie abgeschlossen und leitete einst die Nachwuchsakademie der Hoffenheimer. Hier lernte er Julian Nagelsmann kennen. Seit April 2013 ist er Direktor Profifußball bei der TSG Hoffenheim und führte den Club zwei Mal nach Europa. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.