25 Jahre nach Hillsborough: Trauer und Wut sitzen tief
Sheffield (dpa) - Singend und klatschend stehen Fans des FC Liverpool auf einer Tribüne des Hillsborough-Fußballstadions. Im nordenglischen Sheffield wollen sie das Halbfinale des FA-Cups gegen Nottingham Forest sehen.
Es ist Samstagnachmittag, 15. April 1989.
Von draußen drängen Hunderte ungeduldig auf die Eingänge zu. Um den Druck aus der Menge zu nehmen, öffnet die Polizei ein zusätzliches Tor. Ein tödlicher Fehler. Denn die Fans drängen durch einen schmalen Tunnel alle in den selben Block.
Während unten auf dem Rasen die ersten Spielminuten laufen, bricht auf der nun völlig überfüllten Tribüne Panik aus. Menschen werden niedergetrampelt oder eingequetscht am Zaun, der die Zuschauer vom Rasen trennt. „Die Leute wurden blau. Ich fühlte, wie Menschen unter der Menge an meinen Knöcheln zogen“, berichtet Jahre später der BBC ein Fan, der als 16-Jähriger das Unglück überlebt.
Es dauert sechs Minuten, bis Schiedsrichter Ray Lewis die Partie unterbricht. In Panik kletterten Menschen über die hohen Metallzäune auf Spielfeld. Filmaufnahmen zeigen, wie die Sicherheitskräfte versuchten, die Menschen im Block zu halten. „Die Polizei meinte zuerst, es sei eine Sache von fünf bis zehn Minuten, wieder Ordnung in die Menge zu bringen“, erzählt Lewis später. Offizielle Bilanz des Desasters: 96 Tote, 766 Verletzte. Das jüngste Todesopfer, ein Cousin des späteren Liverpool-Kapitäns Steven Gerrard, ist zehn Jahre alt.
Die schlimmste Tragödie des englischen Fußballs brennt sich tief ins kollektive Gedächtnis des Landes ein. Bis heute tragen Liverpool-Spieler die Erinnerung daran auf der Brust, denn der Club änderte sein Wappen: Zwei Fackeln rechts und links erinnern jetzt an den Unglückstag, dazu der Schriftzug mit dem berühmten Titel der Club-Hymne, „You'll never walk alone“. Zudem sind die Folgen in britischen Profi-Stadien zu sehen: Stehtribünen und Zäune wurden nach Hillsborough verboten.
Nicht nur Trauer um die Opfer prägt den 25. Jahrestag der Katastrophe, den die Briten am 15. April (Dienstag) begehen. Immer noch sind viele auch wütend auf Polizei und Ordner, die Fans nicht in leerere Bereiche des Stadions umleiteten, Rettungskräfte zu spät ins Stadion ließen und die Ereignisse in den folgenden Monaten falsch darstellten. 41 Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn schneller Hilfe gekommen wäre. Zu diesem Schluss kam im vergangenen Herbst eine unabhängige Untersuchung. Daraufhin kassierte der Londoner High Court die alten Urteilssprüche.
Es ist ein später Erfolg für die „Hillsborough Familiy Support Group“ (HFSG), die 74 betroffene Familien repräsentiert. Jahrelang kämpfte die Gruppe gegen das Ergebnis einer ersten Untersuchung von 1991 an. „Accidental death“, Unfalltod, war damals entschieden worden. Der Vorsitzende Richter stellte nun gleich zum Prozessauftakt klar, dass die Opfer keine Schuld treffe. „Das ist absolut großartig. Wir wussten es seit 25 Jahren“, sagte HFSG-Vorsitzende Margaret Aspinall.
Damit die Familien nicht weit reisen müssen, hat das Justizministerium in Nordengland den größten Gerichtssaal des Landes eingerichtet. Mindestens neun Monate soll die Untersuchung dauern. Die ersten Tage waren emotional: Angehörige der Opfer erzählten aus deren Leben. So die Schwester von Kevin Traynor, der 1989 erst 16 Jahre alt war. „Oh nein, nicht wieder dieses Stadion“, habe er vor dem Spiel noch gesagt. „Keine Angst, ich bin ja bei dir“, habe sein 26 Jahre alter Bruder Christopher geantwortet. Beide überlebten die Massenpanik nicht.
Rund fünf Wochen nach der Hillsborough-Katastrophe gewann Liverpool den Pokal und wurde im folgenden Jahr zum 18. Mal englischer Fußballmeister. Seit 24 Jahren warten die Fans auf die nächste Meisterschaft. In dieser Saison könnte es klappen. Clubmanager Brendan Rogers hat die Titeljagd den 96 Opfern des 15. April 1989 gewidmet. Er sagte: „Ich weiß, dass im Himmel 96 Menschen sind, die dieses Team immer unterstützen werden.“