Boykott-Drohung für WM in Russland in der Diskussion
Berlin (dpa) - Unter deutschen Politikern gibt es unterschiedliche Auffassungen über eine mögliche Boykott-Drohung für die Fußball-WM 2018 in Russland.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hält eine entsprechende Diskussion für falsch. „Jetzt vier Jahre im Voraus eine Debatte über die nächste Fußball-Weltmeisterschaft zu führen, halte ich nicht für besonders klug“, sagte der Bundeswirtschaftsminister der Nachrichtenagentur dpa mit Blick auf die jüngste Eskalation und den mutmaßlichen Abschuss eines Passagierflugzeugs über der Ostukraine.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Michael Fuchs, fordert hingegen sogar eine Aberkennung der Gastgeberrolle Russlands. „Ein Land, das nicht einmal die Überflugrechte von Flugzeugen garantieren kann, sollte keine Weltmeisterschaft ausrichten“, sagte er der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Die WM in vier Jahren in Russland auszurichten sei „nicht angemessen“. Bei „Handelsblatt Online“ brachte Fuchs Deutschland als möglichen Ersatzausrichter ins Spiel. Eine Neuvergabe der WM als Strafmaßnahme sei wesentlich wirkungsvoller als harte Wirtschaftssanktionen.
Grünen-Politiker Volker Beck sagte der „HAZ“: „Man darf eine Fußball-WM nicht in einem Land austragen, das völkerrechtswidrig einen Teil eines anderen Landes annektiert hat.“ Marieluise Beck, Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, erinnerte an den umstrittenen WM-Zuschlag für Russland vor dreieinhalb Jahren. „Die Vergabe der Fußball-WM an Russland war bereits vor der Ukraine-Krise fragwürdig, weil der Kreml seit Jahren Bürgerrechte immer weiter einschränkt.“ Russlands Präsident Wladimir Putin sei „kein würdiger Gastgeber.“
SPD-Vize Ralf Stegner reagierte kritisch auf die politischen Boykott-Forderungen. Es sei „schon reichlich merkwürdig, in einer Situation, in der viele unschuldige Menschen sterben, die Antwort in einer Diskussion über Fußball zu sehen“, sagte er „Handelsblatt Online“. Eine tagespolitisch motivierte Diskussion darüber, wer in vier Jahren die Fußball-WM ausrichtet, möge zudem „das politische Sommerloch füllen und Schlagzeilen bringen, sinnvoll ist sie deswegen nicht“.
Vize-Regierungssprecher Georg Streiter reagierte auf die Frage, ob eine Strafmaßnahme gegen Moskau auch der WM-Entzug sein könnte, sachlich: „Das sind noch vier Jahre hin. Wir haben drängendere Probleme als diese.“ Außerdem - so merkte er an - entscheide das nicht die Bundesregierung.
Deutschland tritt nach dem WM-Sieg in Brasilien in vier Jahren in Russland als Titelverteidiger an. Bereits 2017 findet in Russland der Confederations Cup als Generalprobe in Moskau, St. Petersburg, Kasan und Sotschi mit dem DFB-Team als einem von acht Teilnehmern statt.
Russland Sportminister Witali Mutko hatte noch vor dem Absturz der Maschine der Malaysian Airlines in der Ostukraine jeden Zusammenhang von Ukraine-Krise und Fußball-WM zurückgewiesen. „Ich kann diesbezüglich keinen Zusammenhang sehen. Es sind unterschiedliche Dinge. Es wird keinen Einfluss auf die WM haben“, sagte der Politiker kürzlich bei einer Pressekonferenz. Mutko ist auch WM-Organisationschef und Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees.
Der Fußball-Weltverband hat auf jede politische Einflussnahme und Kritik an seinem Premiumprodukt WM ablehnend reagiert. Mit dem russischen Energiekonzern Gazprom unterhält die FIFA wirtschaftliche Verbindungen. Die WM-Vergabe an Russland ist auch noch Gegenstand einer Untersuchung durch die FIFA-Ethikkommission. Chef-Ermittler Michael Garcia will seinen Bericht zu möglichen Korruptionsfällen Anfang September vorlegen.
Theo Zwanziger, Mitglied im Exekutivkomitee der FIFA und Ex-DFB-Präsident, wies in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ die Forderungen der Politik zurück. „Der Ruf nach einem Einschreiten der FIFA kommt immer sehr schnell. Dabei hat ein Boykott im Sport nur selten etwas gebracht und deshalb halte ich von einem solchen Vorschlag auch nichts“, sagte Zwanziger. „Die WM ist nach Russland vergeben worden, es wurden Verträge unterschrieben und Rechte vergeben.“ Dass Michael Fuchs Deutschland bereits als Ersatz-Austragungsort nennt, klinge für ihn „sehr populistisch“. Nach dem Motto: „Jetzt sind wir schon Weltmeister, dann wollen wir auch die Weltmeisterschaft. Mit einem solchen Vorstoß erweckt man bei einer weltumspannenden Organisation wie der FIFA keine Sympathien.“