Erpressungsaffäre: Frankreichs Verband suspendiert Benzema
Paris (dpa) - 1984 wurde Frankreich im eigenen Land Fußball-Europameister, angeführt von Michel Platini. 1998 wurde Frankreich im eigenen Land Weltmeister, angeführt von Zinédine Zidane. 2016 will die Équipe Tricolore ihre Heimmacht erneut demonstrieren.
Ob „Les Bleus“ aber nächstes Jahr vom designierten Platini- und Zidane-Nachfolger Karim Benzema angeführt werden, ist sehr fraglich geworden. Der in eine Erpressungsaffäre verwickelte Stürmer wurde bis auf weiteres aus dem Nationalteam suspendiert.
„Benzema darf nicht mehr nominiert werden“, erklärte der Präsident des Nationalverbandes FFF, Noël Le Graët, in Paris. Vor den am FFF-Sitz unweit des Eiffelturmes zahlreich erschienen Journalisten aus aller Welt betonte Le Graët, die Sanktion könne eventuell schon im März aufgehoben werden oder aber auch bis zum EM-Beginn im Juni in Kraft bleiben. „Je nachdem, wie die Justiz vorwärtskommt.“ Der Richter müsse das Verfahren einstellen oder aber entscheiden, dass Benzema und Nationalmannschafts-Kollege Mathieu Valbuena sich wieder sehen und sprechen können.
„Ich respektiere die Entscheidung und habe Vertrauen in unseren Präsidenten Noël Le Graët“, schrieb Benzema später auf Twitter. Erst am Dienstagabend, nachdem er beim 8:0-Sieg von Real Madrid über Malmö in der Champions League drei Mal ins Schwarze getroffen hatte und die Medien daheim die Suspendierung bereits vorwegnahmen, hatte der Profi um Gnade gebeten. „Lasst bitte nur die Justiz entscheiden“, hatte der 27-Jährige vor Mikrofonen ersucht.
Der Druck auf den Verband war aber einfach zu groß geworden. Im Juni war Valbuena mit der Veröffentlichung eines Sex-Videos bedroht worden, falls der Profi von Olympique Lyon nicht 150 000 Euro zahlt. Benzema wurde der Komplizenschaft mit den Haupttätern beschuldigt. Er wurde im November zum Beschuldigten erklärt, fünf Jahre Haft drohen. Premier Manuel Valls, der Boss der Profiliga LFP, Frédéric Thiriez, und auch Topsportler wie Schwimmer Camille Lacourt hatten den Ausschluss Benzemas aus der Équipe gefordert. Ein großer Sportler müsse Vorbild sein, hieß es überall.
Einst als „Hochbegabter“ geschätzt, beeinträchtigt der Skandal die Vorbereitung der Franzosen auf die Heim-EM empfindlich. National-Trainer Didier Deschamps habe die Entscheidung akzeptiert, sagte Le Graët. Dass es womöglich auch ohne den Mann aus Lyon geht, bewies das Team bereits. In der Partie gegen Weltmeister Deutschland, in der letztlich alles Sportliche durch die schrecklichen Attentate von Paris aber jegliche Bedeutung verlor, verzichtete Deschamps auf den auch noch nicht ganz fitten Benzema. Auch Valbuena wurde nicht für die Partie in Saint Denis und anschließend in England berufen.
Deschamps verzichtete also auf den eigentlichen Vorbereiter auf dem Platz und den eigentlichen Goalgetter - bei der WM 2014 erzielte Benzema drei Treffer. Insgesamt kommt er auf 27 Tore in 81 Einsätzen. Deschamps wollte sein EM-Team für 2016 um den Angreifer herum weiter formieren und stärken. Womöglich alles Makulatur etwas mehr als ein halbes Jahr vor dem Eröffnungsmatch der Franzosen am 10. Juni.
Zwei Testspiele, am 25. März in den Niederlanden und vier Tage später im Stade de France gegen Russland, stehen Deschamps für die Feinarbeit an seiner EM-Elf nur noch zur Verfügung. Seit der WM hat das Gastgeber-Team kein Spiel mehr unter Wettkampfbedingungen bestritten. Die Partie gegen England, die wie das Spiel gegen Deutschland eigentlich als Härtetest vorgesehen war, wurde nach den Attentaten zu einem Bekenntnis für die Nation. Sportlich kassierte das französische Team die erste Niederlage in der EM-Saison.
Andere als Benzema müssen Les Bleus womöglich nun führen. Einer wie Olivier Giroud, 29 Jahre alter Angreifer vom FC Arsenal. Oder Flügelspieler Anthony Martial, gerade mal 20 Jahre alt und beim Spiel gegen Deutschland überragend. Hinzu kommen junge Spieler wie Bayerns Kingsley Coman (19), vor allem aber Paul Pogba von Juventus Turin. Der 22-Jährige könnte das Zeug zum neuen Star der Franzosen haben, zum Star der Heim-EM - wie einst Platini oder Zidane.
„Er ist Teil eines Kollektivs“, betonte Deschamps allerdings. Die Titel im eigenen Land holte Frankreich bislang aber immer mit einem, der aus einem Kollektiv herausragte. Noch hoffen viele in Frankreich auf Benzema, die Verbannung ist ja nicht endgültig. Nicht umsonst betonte Le Graët: Benzema sei „in einem schwierigen Viertel geboren“ und habe „sich keine neuen Freunde gesucht.“ Er sei aber „ein guter Kerl“ und ein „toller Fußballer“.