Ex-DFB-Mann Spahn rügt Ablehnung von Katar
Doha (dpa) - Helmut Spahn glaubt an die Fußball-WM 2022 in Katar, selbst wenn sie im heißen Sommer ausgetragen werden sollte. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa wirbt der frühere DFB-Sicherheitsbeauftragte um mehr Verständnis für ein fremdes Land und die dort herrschenden Verhältnisse.
„In einem arabischen Land gibt es einen eigenen Lifestyle“, sagt der 52 Jahre alte Direktor des Internationalen Zentrums für Sportsicherheit (ICCS) in der katarischen Hauptstadt Doha.
Es gibt viele Diskussionen über die Fußball-WM 2022 und große Kritik an Katar, etwa über untragbare Zustände für Gastarbeiter auf den Baustellen. Sicherheit war noch kein großes Thema. Was sagt der Fachmann, könnte es in Katar eine Sicherheitsproblematik geben?
HelmutSpahn: Ich denke beim Thema Sicherheit nicht nur an Polizei und Ordnungsdienst, sondern auch an das, was ein Land mit so einer Großveranstaltung verfolgt. Bei uns in Deutschland hieß 2006 die Philosophie, 'die Welt zu Gast bei Freunden'. Dass die WM über vier Wochen eine Party war mit Public Viewing und und und, war sicherlich nicht von jedem so erwartet worden. So eine Philosophie braucht auch Katar. Sie heißt aktuell 'expect amazing', erwarte Erstaunliches. Man wird futuristische Stadien und eine ganz neue Infrastruktur anbieten. Aber es braucht mehr. Die Frage lautet, was will ich mit der WM erreichen?
Was könnte das sein?
Spahn: Wenn Katar das Land öffnen will, muss es Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Ich muss Vorurteile abbauen. Das Land ist fremd. Wenn ich in Deutschland mit Menschen spreche, bedeutet Katar für sie arabische Religion, Islamismus, verschleierte Frauen. Da bedarf es einer Menge Aufklärungsarbeit. In Südafrika wurde im Vorfeld der WM vor vier Jahren fast nur über Sicherheit gesprochen. Es hieß, wenn man dorthin reist, werde man vergewaltigt, ausgeraubt und ermordet.
Ist Katar zu einer Öffnung gegenüber dem Westen bereit?
Spahn: Es gibt natürlich ältere Kataris, die am Althergebrachten festhalten wollen. Es gibt aber auch viele junge Kataris, die in den USA, England, Deutschland, Frankreich studiert haben und ausgebildet worden sind. Die sind sehr offen. Wir Europäer sollten aber keine Oberlehrer sein. Wir können unsere westlichen Vorstellungen nicht eins zu eins diesem Land überstülpen. In einem arabischen Land gibt es einen eigenen Lifestyle.
FIFA-Generalsekretär Jérome Valcke hat in der vergangenen Woche eine Verlegung der WM in den Winter angekündigt. Wäre eine Austragung des Turniers im heißen Sommer überhaupt denkbar?
Spahn: Ich bin hin- und hergerissen. Beides ist möglich, und auf beides sind die Kataris vorbereitet. Hier wird keine Mars-Mission organisiert. Hier wird ein Fußball-Turnier organisiert mit 64 Spielen innerhalb von vier Wochen. Man sollte den technischen Fortschritt auch nicht außer Acht lassen, der ist rasend. Vor 15 Jahren waren i-Phones noch kein Thema. Heute gibt es Elektroautos und modernste Kühlungstechniken. Was weiß ich, was 2022 möglich ist? Spielen und Trainieren, das ginge auch im Sommer. Aber klar, wenn sich die Fans hier frei bewegen und begegnen sollen, ist das unter den klimatischen Verhältnissen, wenn es mal 45 Grad heiß ist, kompliziert.
Kann es denn eine WM werden, die den Fan begeistert?
Spahn: Der Fan wird hundertprozentig begeistert sein, davon bin ich überzeugt. Es heißt immer wieder, Katar sei zu klein und habe keine Fußball-Geschichte. Aber hierhin benötigt der Fan nur einen Flug und im Land ein Hotelzimmer. Zwischen den einzelnen Stadien liegt nicht viel mehr als eine halbe Stunde Fahrzeit. Der Fan kann sich Trainings von Brasilien, Italien oder Deutschland ansehen - und das ohne zu reisen. Wenn er will, kann er drei Spiele an einem Tag besuchen. Und er trifft mit Fans aus anderen Ländern zusammen. Insofern hält aus meiner Sicht hier der olympische Gedanke Einzug.
Sie haben lange für den Deutschen Fußball-Bund gearbeitet. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat die WM in Katar als Belastung für den gesamten Fußball bezeichnet. Was sagen Sie zu der Kritik?
Spahn: Ich habe mit Wolfgang Niersbach gesprochen. Er ist nicht glücklich mit der Entscheidung für Katar, das stimmt, weil etwa bei einer Winter-WM der Spielkalender in Europa umgestellt werden muss. Aber er sagt auch, die Entscheidung für Katar ist gefallen und jetzt müsse man die bestmöglichen Lösungen für den Fußball finden.
Nach den Medienberichten über tote Arbeiter auf Baustellen hat der deutsche Ligapräsident Reinhard Rauball vor einem „sklavenähnlichen System“ in Katar gewarnt. Was antworten Sie?
Spahn: Es gab erschreckende Vorfälle. Es ist auch bestimmt kein Vergnügen, bei 40 oder 45 Grad im Sommer auf einer Baustelle zu arbeiten. Aber dafür gibt es Regelungen und Vorschriften. Mich hat generell die pauschale Kritik gestört. In Katar gibt es auch eine Masse deutsche Firmen. Da hätte ich mir zum Beispiel von Michael Sommer, dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, gewünscht, dass er mit diesen Firmen in Kontakt tritt. Diese sind verantwortlich für ihre Arbeiter. Als Anfang der 1960er-Jahre die Gastarbeiter zu uns nach Deutschland kamen, mussten wir auch eine Entwicklung durchmachen. Erntehelfer wohnen bei uns auch nicht in einem Loft.
Wie brisant sehen Sie nach den Anschlägen in Wolgograd die Sicherheitslage für die Olympischen Winterspiele in Sotschi?
Spahn: Jede sportliche Großveranstaltung hat eine latente Bedrohung im Bereich Terrorismus. Es ist schwierig, eine Balance zwischen Sicherheit und den Freiheitsrechten von Besuchern und Athleten herzustellen. Ich kann 70 000 Polizeibeamte einsetzen, Überwachungskameras und Drohnen. Eine hundertprozentige Sicherheit aber gibt es nicht. Die Russen werden sicherlich alles unternehmen, um diese Spiele sicher zu gestalten. Aber die Herausforderung wird sein, das so zu organisieren, dass es noch ein Sportereignis ist und kein Sicherheitsevent wird.
ZUR PERSON: Helmut Spahn, geboren in Seligenstadt, ist seit 2011 Direktor des noch jungen International Centre for Sport Security (ICSS) in Katar. Davor war der 52-Jährige fünf Jahre Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes und auch verantwortlich für die Sicherheit bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland. Er lebt und arbeitet in Doha, der Hauptstadt von Katar, Gastgeber der Fußball-WM 2022.