Nach Protesten in Fortaleza: Gänsehaut bei der Seleção

Fortaleza (dpa) - Denkwürdiger Tag für Brasilien in Fortaleza: Vor den Stadiontoren kommt es zu gewalttätigen Protesten, in der Arena zeigen die Fans eine Demonstration der emotionalen Stärke.

Schiedsrichter Howard Webb hat 2010 das WM-Finale in Südafrika gepfiffen und schon so ziemlich alles mitgemacht im Fußball. „Noch nie im Leben habe ich so etwas gehört“, sagte der Engländer im Kabinengang nach dem 2:0 der Seleção gegen Mexiko beim Confed Cup zu Luiz Felipe Scolari, wie Brasiliens Nationaltrainer später erzählte.

Am Tag der gewalttätigen Demonstrationen in Fortaleza sangen über 50 000 Zuschauer im Estadio Castelão die Nationalhymne und feierten ihre Mannschaft mit einer Inbrunst, also hinge davon die Zukunft des fünftgrößten Landes der Welt ab.

„Man konnte gar nichts anderes als eine Gänsehaut bekommen. Und wir haben uns gesagt, wir können gar nicht anders, als einfach nur zu rennen“, sagte Hulk. Der Angreifer von Zenit St. Petersburg bedankte sich nach der Partie gerührt beim Publikum - und auch bei „den Tausenden, die draußen sind. Sie sollen wissen, dass alle Spieler hier sie unterstützen.“ Hulk meinte damit natürlich die friedlichen Demonstranten gegen soziale Missststände und WM-Investitionen, die die Küstenstadt im Nordosten Brasiliens in einen Ausnahmezustand versetzt hatten.

Jeder im Stadion spürte, dass es an diesem Tag um mehr als nur Fußball ging. Selbst Scolari hatte sich den politischen Debatten nicht entzogen und sie am Tag vor dem Spiel mit eine bemerkenswerten Satz geprägt: „Die Seleção ist das Volk.“ Nach dem zweiten Sieg im zweiten Gruppenspiel kämpft der Gastgeber nun am Samstag in Salvador de Bahia gegen Italien um den Gruppensieg. Der sportliche Aspekt rückte jedoch angesichts der landesweiten Massenproteste der vergangenen Tage fast in den Hintergrund.

„Vielen Dank den Menschen in Fortaleza, dass sie uns in diesen Tagen so viel Herzlichkeit entgegengebracht haben“, meinte Scolari sichtlich bewegt. Eine Polizeieskorte hatte den Mannschaftsbus des fünfmaligen Weltmeisters weiträumig um die Demonstranten unweit des Stadions geführt. „Wir haben Bilder im Fernsehen gesehen“, berichtete Bayern Münchens brasilianischer Mittelfeldspieler Luiz Gustavo. „Aber keine Proteste. Wir sind durch ein anderes Tor reingefahren.“

Auf den Rängen waren dann zwischen den unzähligen gelben Shirts der Zuschauer lediglich ein paar Plakate zu sehen. „Dieser Protest ist nicht gegen die Seleção, sondern gegen die Korruption“, war auf einem der Banner zu lesen. Die Nationalhymne war bereits abgespielt, da sangen die Menschen einfach weiter. „Mir hat es die Haare am ganzen Körper aufgestellt, das war bewegend. Wir haben uns alle umarmt“, schilderte Hulks Sturmpartner Fred die Szene. „Niemand gewinnt ein Spiel wegen der Hymne, aber das hat uns noch viel mehr motiviert.“

Euphorisch feierte das Publikum nach dem Abpfiff und Toren des neuen Superstars Neymar (9. Minute) und des eingewechselten Jo (90.+3) den Titelverteidiger und sangen: „Eu sou Brasileiro. Com muito orgulho. Com muito amor“ - „Ich bin Brasilianer - mit viel Stolz, mit viel Liebe.“