„Brutaler Realitätscheck“ Spanien erteilt Englands WM-Helden Lektion
London (dpa) - Die Fans im Wembley-Stadion applaudierten nach dem Abpfiff höflich. Doch Englands Stürmerstar Harry Kane ärgerte sich über das Ergebnis.
„Wir hätten mindestens ein Unentschieden verdient“, fand er nach der 1:2 (1:2)-Niederlage gegen Spanien, bei der ein Tor von Danny Welbeck in der Nachspielzeit aberkannt wurde. Nach dem ersten Auftritt seit dem überraschend guten Abschneiden bei der Fußball-WM sind sich britische Medien und Fans indes einig: Die Three Lions sind zurück auf dem Boden der Tatsachen.
„England wird aufgezeigt, dass es immer noch weit hinter den Topteams steht, Spanien dominiert beim UEFA-Nations-League-Auftakt“, schrieb die britische Zeitung „Telegraph“. Das war „ein brutaler Realitätscheck“ hieß es auf der Website der BBC.
So sah es auch Nationaltrainer Gareth Southgate, der schon vor dem Spiel vor zu hohen Erwartungen gewarnt hatte. „Wir machen uns nichts vor“, stellte er klar. „Wir stehen immer noch am Anfang von dem, was wir erreichen wollen. Das war ein harter Test in Sachen Pressing und (gegen) ein Team, das sehr gut im Ballbesitz ist.“ England war durch Marcus Rashford nach elf Minuten in Führung gegangen. Die hielt nur zwei Minuten bis zu Saul Nigez' Tor für Spanien. Die Vorlage kam von Rodrigo Moreno, der nach einer guten halben Stunde zum 2:1 traf.
Die zweite Halbzeit begann mit einem Schock. Abwehrspieler Luke Shaw musste nach Zusammenstoß mit Dani Carvajal vom Platz getragen werden. Shaw, der mit der Vorlage zum 1:0 nach anderthalb Jahren ein starkes Comeback im England-Trikot gegeben hatte, gab später Entwarnung. „Mir geht es gut und ich bin in den besten Händen“, schrieb er bei Twitter. „Ich bin ein Kämpfer, also werde ich bald wieder da sein.“
Spanien verwaltete das 2:1 bis in die achte Minute der Nachspielzeit. Dann schob Welbeck den Ball ins Netz. Doch weil der spanische Keeper David de Gea zuvor zu Boden gegangen war, zählte das Tor nicht - eine umstrittene Entscheidung, die besonders Kane ärgerte. „In diesen wichtigen Szenen brauchst du einen Schiedsrichter, der stark bleibt“, sagte er, „aber leider hat er sich gedrückt.“ Britische Medien bewerteten das Ergebnis insgesamt dennoch als gerecht.
Spanien bejubelte das erfolgreiche Debüt von Ex-Barça-Coach Luis Enrique mit der Selección. Besonderes Lob galt de Gea, der nach der verpatzten WM einiges wieder gut mach konnte. „Er hat uns gerettet“, sagte Torschütze Rodrigo mit Blick auf die zahlreichen guten Paraden des 27-Jährigen. Verteidiger Nacho fügte hinzu: „Er ist eine Nummer eins und wir haben totales Glück, dass wir ihn haben.“
Die Zeitung „Mundo Deportivo“ nannte es einen „historischen“ Abend, weil es bisher noch keinem Team gelungen sei, England in Wembley nach einem Rückstand noch zu schlagen. Nach dem WM-Chaos - Trainer Julen Lopetegui war vorm Turnierstart gefeuert und durch den unerfahrenen Sportdirektor Fernando Hierro ersetzt worden - kann die spanische Nationalelf jetzt also wieder mit Optimismus in die Zukunft schauen.
Das gilt auch für England - trotz der ersten Pflichtspielniederlage in Wembley seit 2007 (2:3 gegen Kroatien in der EM-Qualifikation) und der dritten Pleite in Serie (nach dem WM-Halbfinale und dem Spiel um Platz drei). Eine solche Negativ-Serie gab es zuletzt vor 30 Jahren.
Doch die Hoffnung in England ist groß, dass Southgates Mannschaft nicht nur eine Lektion erteilt bekommen hat, sondern daraus lernt, selbst wenn das wohl noch ein bisschen Geduld erfordert. „Wir müssen besser werden, in dem, was wir machen“, stellte auch Southgate am Samstag klar. „Aber das wird keine leichte Aufgabe“. Am Dienstag in Leicester folgt gegen die Schweiz der nächste Test für sein Team.