Strafverfahren gegen FIFA-Chef Blatter eröffnet
Zürich (dpa) - Die Ära Joseph Blatter steht vor dem jähen Ende, die skandalerprobte FIFA versinkt nach ihrer schwärzesten Stunde im absoluten Chaos.
Die Schweizer Behörden eröffneten ein Strafverfahren gegen den vermeintlich unangreifbaren FIFA-Präsidenten und untersuchen auch einen fragwürdigen Deal mit Michel Platini. Dem UEFA-Chef droht nach Annahme einer Millionen-Zahlung ebenfalls Ärger, Blatter muss sich nun „wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung“ und Veruntreuung verantworten.
Sollte der 79 Jahre alte Blatter suspendiert werden, steht der Fußball-Weltverband mit dem neuen Tiefpunkt im Korruptionsskandal vor der Führungslosigkeit. Nach einer Sitzung des FIFA-Exekutivkomitees wurde der Eidgenosse noch am Verbandssitz von Vertretern der Schweizer Bundesanwaltschaft „als Beschuldigter“ vernommen. „Die Nachricht macht mich fassungslos“, erklärte Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes.
Mit Unterstützung der Bundeskriminalpolizei durchsuchten die Ermittler die FIFA-Zentrale und das Büro von Blatter, dabei wurden Daten sichergestellt. Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union, wurde zudem als Zeuge befragt.
Blatter soll im Februar 2011 eine „treuwidrige Zahlung“ von zwei Millionen Schweizer Franken an Platini geleistet haben. Dabei sei es um geleistete Dienste zwischen Januar 1999 und Juni 2002 gegangen. „Dieser Betrag steht in Bezug zu meiner Arbeit, die ich unter einem Vertrag mit der FIFA geleistet habe und ich bin froh, dass ich diese Angelegenheit mit den Behörden klarstellen konnte“, teilte Platini mit. Da er in der Schweiz lebe, stehe er den Behörden „jederzeit“ zur Verfügung.
Platini hatte Blatter bei dessen erneuter Kür als FIFA-Chef im Mai 2002 unterstützt. Neun Jahre später setzte Blatter erneut auf die Dienste seines damaligen Intimus Platini im Wahlkampf gegen den Katari Mohamed bin Hammam. „Wir werden keine weiteren Kommentare abgeben, da es eine laufende Ermittlung ist“, so die FIFA.
Es bestehe zudem der Verdacht, dass Blatter im September 2005 mit der Karibischen Fußball-Union und deren Präsident Jack Warner einen für die FIFA ungünstigen Vertrag abgeschlossen habe, erklärte die Schweizer Bundesanwaltschaft. Der frühere FIFA-Vize steht unter Korruptionsverdacht und ist derzeit gegen Kaution auf freiem Fuß. Die Justiz in Trinidad und Tobago wird laut Medienberichten erst im Dezember über seine mögliche Auslieferung an die USA entscheiden.
Das Schweizer Fernsehen hatte Anfang September berichtet, dass Blatter die Übertragungsrechte für die WM in Südafrika für 250 000 Dollar, die für die WM in Brasilien für 350 000 Dollar veräußert haben soll. Warner soll demnach die TV-Übertragungsrechte zwei Jahre später nach Schätzungen in Medien für 15 bis 20 Millionen Dollar wieder weiterverkauft haben. „Herr Blatter kooperiert und wir sind zuversichtlich, dass die Schweizer Behörden sehen, dass der Vertrag von den Mitarbeitern korrekt vorbereitet und verhandelt worden ist, wenn sie die Chance haben, die Dokumente und Beweise anzuschauen“, sagte Blatters Anwalt Richard Cullen der „New York Times“.
An einem denkwürdigen Freitag auf dem Zürichberg ließ Blatter nach der Sitzung des FIFA-Exekutivkomitees zunächst seinen mit Spannung erwarteten Auftritt vor der Weltpresse in letzter Sekunde platzen.
Die 15 Kamerateams und zahlreichen Journalisten mussten den Bereich vor der Eingangstür kurz vor 14 Uhr verlassen, 150 Minuten danach klärte die Schweizer Bundesanwaltschaft die mysteriöse Situation auf.
„Ich habe das FIFA-Gebäude in dem Glauben verlassen, dass sich Sepp Blatter in der angesetzten Pressekonferenz zur aktuellen Lage äußern wird“, sagte Niersbach. „Erst später habe ich erfahren, dass durch die Schweizer Behörden ein Verfahren gegen ihn eröffnet worden ist“, erläuterte der DFB-Chef.
Blatter steht nun vor einer Untersuchung durch die FIFA-Ethikkommission, ihm droht eine Suspendierung. Dann würde der ebenfalls skandalumwitterte Vize Issa Hayatou aus Kamerun vorerst die Geschäfte übernehmen. Eigentlich wollte Blatter erst Ende Februar abdanken. „Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts leitet die Untersuchungskammer ein formelles Verfahren ein. Die Untersuchungskammer äußert sich aber nie zu konkreten Einzelfällen“, sagte Andreas Bantel, Sprecher der Untersuchungskammer der Ethikkommission, der Deutschen Presse-Agentur.
Vor einer Woche war der langjährige Blatter-Vertraute Jérôme Valcke als FIFA-Generalsekretär suspendiert worden. Der Franzose wurde nach „einer Reihe von Vorwürfen“ von der FIFA vorläufig seines Amtes enthoben. Gegen den Franzosen sind Korruptionsanschuldigungen im Zusammenhang mit der Vergabe von Ticket-Kontingenten laut geworden, er wies diese zurück. Nach einer Hängepartie gewährte die FIFA am Donnerstag der Staatsanwaltschaft der Schweiz Einblick in den Mailverkehr von Valcke.
Dieser sei beim Treffen der FIFA-Regierung aber „nur ganz kurz ein Thema“ gewesen, berichtete der Chef des Deutschen Fußball-Bundes am Freitag nach der zweitägigen Sitzung am FIFA-Sitz in Zürich. „Das muss man verstehen, es stehen die Anschuldigungen im Raum und auf der anderen Seite das klare Statement, dass diese Anschuldigungen falsch sind. Es gilt die Unschuldsvermutung, es ist ein laufendes Verfahren“, sagte DFB-Chef Wolfgang Niersbach.
Valcke hatte bereits neben Blatter gefehlt, als dieser sich zuletzt vor gut zwei Monaten den Medien gestellt hatte und von einem Komiker mit Dollarnoten beworfen worden war. Nun kam es erst gar nicht zu einem weiteren Blatter-Auftritt.
Stattdessen verschickte der angeschlagene Fußball-Weltverband zunächst lediglich eine Mitteilung mit Ergebnissen des zweitägigen Treffens der FIFA-Regierung. Die Resultate sind äußerst dünn: Der Beginn der umstrittenen WM in Katar wurde auf den 21. November 2022, einen Montag, terminiert. Damit dauert das Weltturnier wie erwartet nur 28 Tage.
Ansonsten blieb die Exekutive viele Antworten schuldig: Die geforderte Transparenz-Reform für die Arbeit der FIFA-Ethikhüter lässt weiter auf sich warten. Den Antrag der unabhängigen Ethikkommission, die Öffentlichkeit über laufende Verfahren informieren zu dürfen, begrüßte das Exko zwar „prinzipiell“.
Allerdings wurde die angestrebte Änderung der Verschwiegenheitsklausel an die Kommission für rechtliche Angelegenheiten zur „Beratung“ weitergegeben. Das Exko hätte die Änderung auch selbst beschließen können. Würde der Paragraf 36 des FIFA-Ethikcodes aufgehoben, könnte die Untersuchungskammer der Ethikkommission beispielsweise erklären, ob gegen UEFA-Präsident Michel Platini Ermittlungen laufen.