Tiki-Taka-Handbremse gegen Tahiti - Spaniens Moralfrage
Rio de Janeiro (dpa) - Javier Martínez hat beste Chancen auf einen Startelfeinsatz im legendären Maracana. Ob der Profi von Bayern München mit seinen spanischen Kollegen in Brasiliens Fußball-Tempel aber auch nach Herzenslust wirbeln kann, ist eine Frage von Anstand und Moral.
Gnade vor Können lautet wohl das Motto, wenn der Welt- und Europameister am Donnerstag beim Confederations Cup in Rio de Janeiro zum maximal ungleichen Duell gegen die wackeren Amateure aus Tahiti antritt - auch wenn Andres Iniesta und Trainer Vicente del Bosque öffentlich keine Milde in Aussicht stellten.
„Der größte Respekt, dem man einem Gegner entgegenbringen kann, ist, ihn ernst zu nehmen und so gut zu spielen, wie man kann“, sagte Iniesta am Mittwoch in Rio de Janeiro. Del Bosque betonte, er könne seine Spieler niemals anweisen, weniger Tore zu schießen. „Wir werden versuchen zu siegen, je höher, desto besser. So zeigen wir Respekt gegenüber unserem Gegner und auch gegenüber uns selbst.“
Dennoch dürften die Weltmeister ihren Aufwand merklich reduzieren, wenn sich das Ergebnis dem zweistelligen Bereich nähert. Davon geht auch Tahiti-Coach Eddy Etaeta aus. „Ich glaube nicht, dass Spanien viele Tore schießen will. Ich kenne ihren Trainer Vicente del Bosque. Er ist ein Mann mit Demut und Respekt“, sagte er.
Klar ist: Volle 90 Minuten spanische Fußball-Kunst hätten einen extremen Rekordsieg beim WM-Testlauf zur Folge. Bislang hält Brasilien mit einem 8:2 gegen Saudi-Arabien die Bestmarke bei einer Mini-WM. Im Weltfußball steht das 31:0 Australiens gegen Samoa aus dem Jahr 2001 in den Rekordbüchern. Wäre da nicht die trotz der Aussagen allseits erwartete Tiki-Taka-Handbremse, könnte Spanien diese Marke sicher brechen, egal welche Spieler del Bosque aus seinem 23-Mann-Kader aufbieten wird.
Noch hat sich der Seleccionador öffentlich nicht festgelegt, aber es gilt als ausgemacht, dass er seine Formation im Vergleich zum 2:1 gegen Uruguay komplett umkrempelt. „Es wird viel mehr Rotation geben als bei anderen Turnieren“, kündigte del Bosque schon einmal an.
Das bringt auch Martinez ins Spiel für einen Starteinsatz. Als Backup von Barcelonas Sergio Busquets ist der Münchner trotz seiner grandiosen Saison mit den Bayern nur Nummer zwei auf der Position sechs im Aufgebot. Del Bosque braucht gegen die meisten Gegner derzeit nur einen Mann im defensiven Mittelfeld.
Der erfüllte Traum von einem Spiel im Maracana birgt für Martínez und seine Mitstreiter in Spaniens erwarteter B-Elf ein Dilemma. Alle wollen sich präsentieren, um einen Stammplatz auch mit Blick auf die WM 2014 kämpfen und selbstverständlich das Ereignis Maracana genießen: „Es ist ein mythischer Ort und ich erinnere mich, wie ich als kleiner Junge von Spielen dort gehört habe“, berichtete Chelseas Juan Mata, der wie Martinez in die Startelf rücken dürfte.
Zu viel Ehrgeiz gegen den ohnmächtigen Gegner würde aber letztlich als Arroganz der Millionäre gegenüber den Amateuren ausgelegt werden, die in Polynesien als Arbeiter in Kokosplantagen oder als Strandverkäufer ihr Geld verdienen. Etwa 12 000 Euro verdienen Tahitis Spieler wie Lieferwagenfahrer Jonathan Tehau - umjubelter Torschütze beim 1:6 gegen Nigeria - im Jahr. Spaniens Superstars wie Fernando Torres wird ein Gehalt in mindestens zehnfacher Höhe nachgesagt - pro Woche.
Etaeta bringt lieber andere Zahlen ins Spiel. Erstaunliche 31 Prozent Ballbesitz habe man gegen Nigeria gehabt, Uruguay gegen Spanien nur 28, rechnete er kokett vor. Daraus eine Mini-Chance abzuleiten wäre aber natürlich vermessen. „Am Donnerstag wird Spanien 98 Prozent Ballbesitz haben“, meint Etaeta.