„Unbeschreiblich“: Islands EM-Ticket kein Zufallsprodukt
Reykjavik (dpa) - In der historischen Fußball-Nacht von Reykjavik erklärte Islands Ministerpräsident seine Insel kurzerhand zur Partyzone.
Nach der erstmaligen Qualifikation des 330 000-Einwohner-Landes für eine Europameisterschaft bedauerte es Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson, dass er nicht eigenmächtig die Öffnungszeiten der Bars verlängern könne. „Aber ich erwarte nicht, das irgendjemand versuchen wird, die Menschen ins Bett zu bringen“, sagte der Spitzenpolitiker und scherzte sogar, diesen denkwürdigen 6. September zum Nationalfeiertag erklären zu wollen.
Längst vergessen war, dass die Isländer sich zuvor mit einem tristen 0:0 gegen Kasachstan zum letzten noch nötigen Punkt für das Ticket zur EM 2016 gerackert hatten. Aus dem Nationalstadion Laugardalsvöllur schwappte die Feier schnell auf Reykjaviks zentralen Platz, den Ingólfstorgi. „Das bedeutet alles für den isländischen Fußball, absolut alles“, sagte Kapitän Aron Gunnarsson sichtlich berührt. „Es ist unbeschreiblich, ich bin so stolz auf das Team, ich bin so stolz ein Isländer zu sein.“
Auch Schlüsselspieler Gylfi Sigurdsson ließ sich vom Freudentaumel mitreißen. „Das sind Gefühle, die man nicht beschreiben kann“, sagte der frühere Hoffenheimer. „Dass sich so ein kleines Land wie wir, zwei Spieltage vor Schluss, in einer Gruppe mit den Niederlande, Tschechien und der Türkei qualifiziert - das passiert nicht alle Tage“, erklärte Sigurdsson.
Lediglich 20 000 Fußball-Spieler sind beim nationalen Verband KSI registriert - in Deutschland sind es über 6,8 Millionen. Und doch haben die Isländer ihren Endrunden-Einzug früher gesichert als der Weltmeister und so manche andere Fußball-Macht des Kontinents.
Lange waren die Isländer vor allem für ihre starken Handballer gefürchtet, die 2008 sogar Olympia-Silber gewannen und in Dagur Sigurdsson auch den deutschen Bundestrainer stellen. Die Basketballer ihrerseits brachten gerade bei der EM Mit-Gastgeber Deutschland um Superstar Dirk Nowitzki schwer in Bedrängnis. Dass Bewegungstalente auf der Insel die lange dunkle Jahreszeit bei Hallen-Sportarten verbringen und so ihre Stärken entwickeln, erscheint indes nicht so ungewöhnlich wie der Aufschwung der Fußballer.
Der aktuelle Erfolg der Kicker aber ist durchaus kein Zufallsprodukt, sondern das Resultat einer langen Entwicklung. „Seitdem wir 16 Jahre alt sind, stehen wir fast immer in der selben Formation auf dem Spielfeld. Jeder kennt seine Rolle“, sagte Rurik Gislason vom Zweitligisten 1. FC Nürnberg.
Dazu wurden in Island Hallen errichtet, damit das ganze Jahr über auf großen Fußballfeldern trainiert werden kann. Die Jugendtrainer sind, ähnlich wie beim Handball, bestens ausgebildet - jeder von ihnen muss eine A-Lizenz besitzen, um im Nachwuchsbereich zu arbeiten.
2011 übernahm der Schwede Lars Lagerbäck das Amt des Nationaltrainers, dass er sich mit Heimir Hallgrimsson teilt. Lagerbäck führte das 4-4-2-System ein und sorgte für eine klare Organisation der Mannschaft. Er beschreibt sich selbst als „positiven Realisten“, der um die limitierten fußballerischen Mittel seines Teams weiß und daher gar nicht erst versucht, dominanten Ballbesitzfußball spielen zu lassen. Unter Lagerbäck stieg Island in der FIFA-Weltrangliste von Platz 112 auf 23 auf. Die Qualifikation für die EM ist jetzt sein Meisterstück.